Klartext-Anwalt

  • Bücher
    • 111 Gründe, Anwälte zu hassen
    • Klartext für Anwälte
      • Inhalt
      • Leseprobe
      • Namensregister
    • Rechtsratgeber für Existenzgründer
  • Public Relations
    • Pressearbeit
    • Juve und Co.
    • Social Media
  • Text
  • Seminare/Workshops
    • Schreibtraining für Juristen
    • Schreibcoaching
    • Strategie-Workshops
    • Coaching Anwaltspersönlichkeit
  • Profil
    • Lieblingsköpfe
    • Presse & Rezensionen
  • Blog
  • Kontakt
Aktuelle Seite: Startseite / Archiv für Politik

Warum Lebensschutz kein Strafrecht braucht – und wie das Bundesverfassungsgericht heute entscheiden könnte

14. November 2018 von Eva Engelken 2 Kommentare

Buchillustration 111 Gründe, Anwälte... von Jana MoskitoWenn erzkonservative christliche Abtreibungsgegnerinnen* juristisch argumentieren, machen sie es sich einfach. Sie verweisen auf das Bundesverfassungsgericht. Mit ihrer Entscheidung von 1975 hatten die Verfassungsrichterinnen die frisch eingeführte Fristenlösung für nichtig erklärt. Begründung: Das ungeborene Leben muss rechtlich geschützt werden. Was die Juristinnen tunlichst verschweigen: Das Bundesverfassungsgerichtsurteil schreibt gar nicht zwingend vor, dass der Lebensschutz per Strafvorschrift erreicht werden müsse. Zumindest waren sich die Bundesverfassungsrichterinnen seinerzeit über diesen Punkt höchst uneinig.

Der Status quo im Jahr 2018: Extreme Abtreibungsgegnerinnen würden gerne die aktuell gültige Beratungsregelung kippen und das Abtreibungsrecht ganz einschränken. Auf der anderen Seite machen sich immer mehr Frauen, versammelt unter dem Stichwort „Pro Choice“, dafür stark, dass die Paragrafen 218 ff Strafgesetzbuch inklusive dem § 219a StGB abgeschafft werden.

Aktueller Fall, der tatsächlich vor dem Bundesverfassungsgericht landen könnte, betrifft das Werbeverbot in § 219a StGB. Ein Blick auf das Minderheitsvotum der Entscheidung von 1975 lohnt sich. Es liefert nämlich gute Argumente, warum ein neues Gesetz die Strafvorschriften gemäß den §§ 218 ff. aufheben könnte. Und warum auch das Bundesverfassungsgericht eine Abschaffung der §§ 218 ff. gutheißen könnte.

Welche Passagen aus dem Urteil zitieren die Abtreibungsgegner?

In der Bundestagsdebatte zu § 219a StGB zitierte der CDU-Abgeordnete Rechtsanwalt Stephan Harbath folgende Passagen aus dem Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1975:

„Das Grundgesetz verpflichtet den Staat, menschliches Leben, auch das ungeborene, zu schützen …

… Rechtlicher Schutz gebührt dem Ungeborenen auch gegenüber seiner Mutter …“

„… Der Schwangerschaftsabbruch muß für die ganze Dauer der Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht angesehen und demgemäß rechtlich verboten sein …

Das Untermaßverbot läßt es nicht zu, auf den Einsatz auch des Strafrechts und die davon ausgehende Schutzwirkung für das menschliche Leben frei zu verzichten.“

Auf der Grundlage dieses Urteils führte der Gesetzgeber damals die bis heute gültige Beratungsregelung ein. Danach ist eine Abtreibung für die Ärztin zwar strafbar, bleibt aber gemäß § 218 a StGB straflos, wenn sich die abtreibende Frau drei Tage vorher hat beraten lassen.

Schon 1975 argumentierten Verfassungsrichterinnen, dass echter Lebensschutz auch ohne Strafrecht auskommt

Was viele nicht wissen – und erzkonservative Abtreibungsgegnerinnen natürlich auch nicht erwähnen: Das Bundesverfassungsgericht hat zwar 1975 geurteilt, dass das Leben Ungeborener vom Staat geschützt werden müsse. Beziehungsweise dass sein Lebensrecht Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Mutter hätte. Aber der Gesetzgeber dürfe grundsätzlich selber entscheiden, wie er den Schutz ausgestaltet.

Zitat aus dem Urteil, Aktenzeichen: BVerfGE 39, 1

Wie der Staat seine Verpflichtung zu einem effektiven Schutz des sich entwickelnden Lebens erfüllt, ist in erster Linie vom Gesetzgeber zu entscheiden. Er befindet darüber, welche Schutzmaßnahmen er für zweckdienlich und geboten hält, um einen wirksamen Lebensschutz zu gewährleisten.
1. Dabei gilt auch und erst recht für den Schutz des ungeborenen Lebens der Leitgedanke des Vorranges der Prävention vor der Repression (vgl. BVerfGE 30, 336 [350]). Es ist daher Aufgabe des Staates, in erster Linie sozialpolitische und fürsorgerische Mittel zur Sicherung des werdenden Lebens einzusetzen. Was hier geschehen kann und wie die Hilfsmaßnahmen im einzelnen auszugestalten sind, bleibt weithin dem Gesetzgeber überlassen und entzieht sich im allgemeinen verfassungsgerichtlicher Beurteilung.

1975 kam die Mehrheit der Bundesverfassungsrichterinnen zu dem Schluss, dass die Strafdrohung bleiben müsse. Wer sich die Mühe macht, das Urteil zu lesen, merkt jedoch, wie schwer sich die Bundesverfassungsrichterinnen taten.

Minderheitenvotum: „zweifelhafte Eignung der Strafsanktionen für den Lebensschutz“

Zudem waren sich die Richterinnen keineswegs einig. Weder im Ergebnis noch in der Begründung. Die zwei überstimmten Verfassungsrichterinnen, Richterin Wiltraud Rupp von Brünneck und Richter Dr. Simon, schrieben in ihrem Minderheitsvotum die bemerkenswerten Sätze:

„Die Eignung von Strafsanktionen für den beabsichtigten Lebensschutz erscheint jedoch von vornherein als zweifelhaft.“

Und weiter: „Die Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch wird „in Tiefen der Persönlichkeit getroffen, in die der Appell des Strafgesetzes nicht eindringt“

Mit dieser Aussage sagten sie nichts anderes als: Selbst wenn der Staat eine Schutzpflicht gegenüber dem ungeborenen Leben hat, muss er diesen Schutz nicht mit einem Strafgesetz versuchen zu erreichen. Strafgesetze sind nicht wirklich gut geeignet.

Hochkarätige Rechtswissenschaftlerinnen schlossen sich ihnen an. Der renommierte Strafrechtsprofessor Claus Roxin vertrat die Ansicht, ein wirkungsvoller Schutz könne auch durch sozialpolitische Maßnahmen gewährleistet werden. Daher dürfe sich der Gesetzgeber sowohl für eine Beratungs- und Fristenlösung wie auch für einen Indikationenlösung entscheiden.

Im Jahr 2018 wäre es Zeit, die letzten Nazivorschriften zu beseitigen und die reproduktiven Rechte von Mann und Frau zu stärken. Das Bundesverfassungsgericht könnte dabei helfen.

Auf der Basis dieses Minderheitsvotums und der gesamten Urteilsbegründung könnte ein neues Urteil zu den §§ 218 ff. StGB fallen. Genau genommen ist die Zeit reif dafür. Und möglicherweise führt die Klage der Frauenärztin Kristina Hänel durch die Instanzen ja auch ein solches Urteil herbei. Wenn schon 1975 umstritten war, ob es nötig und sinnvoll ist, Abtreibung unter Strafe zu stellen, könnte dies heutzutage vom Bundesverfassungsgericht endgültig verneint werden. Frauen, die schwanger sind, brauchen kein Strafrecht, um sie daran zu erinnern.

Aber es braucht gute Verfassungsrichter und Verfassungsrichterinnen, die eine solche Entscheidung treffen.

Warum Dr. Stephan Harbath dafür nicht der richtige Mann sein könnte, lesen Sie hier.

 

* Ich schrieb im letzten Blogbeitrag, dass ich hier künftig nur noch die weibliche Form verwenden würde, Männer aber bis auf Weiteres selbstverständlich mitgemeint seien.

 

Kategorie: Aktuelles, Politik, Recht Stichworte: #219a, Abtreibung, Anwälte, Rechtsanwalt, Reproduktive Rechte

CDU-MdB und Rechtsanwalt Dr. Stephan Harbart – als moderner Verfassungsrichter geeignet?

14. November 2018 von Eva Engelken 1 Kommentar

Meistens geht es hier um Kommunikation, es kann aber auch mal um einzelne Anwältinnen* gehen, falls es zum Thema meines Buches „111 Gründe, Anwälte zu hassen“ passt. Das ist bei den Plänen, den katholischen Bundestagsabgeordneten und Abtreibungsgegner RA Dr. Stephan Harbath, zum Verfassungsrichter zu machen, der Fall.

Bestehen Interessenkonflikte, wenn Anwältinnen trotz Bundestagsmandat weiter Mandantinnen beraten?

Als bekannt wurde, Rechtsanwalt Dr. Stephan Harbarth solle ab 2020 Präsident des Bundesverfassungsgerichts werden, fiel mir ein Kapitel meines Buches „111 Gründe, Anwälte zu hassen“ ein. Darin hatte ich über die problematische Konstellation geschrieben, dass Rechtsanwältinnen* trotz Bundestagsmandat weiter Mandantinnen beraten. Einer davon war Stephan Harbath.

„Der zweite Topnebenverdiener im Bundestag ist Anwalt: Stephan Harbath ist Spezialist für Kapitalmarktrecht und Partner der Rechtsanwaltskanzlei SZA Schillling, Zutt & Anschütz. Zu seinen Nebenverdiensten auf Stufe 10 tragen Mandanten wie Daimler mit EADS bei.“

111 Gründe, Anwälte zu hassen, 2014, Schwarzkopf Verlag von Eva Engelken

2018 war der Bundestagsabgeordnete und Rechtsanwalt Stephan Harbath erneut unter den Topnebenverdienerinnen im Bundestag. Mit mindestens 150.000 Euro Nebeneinkünften. Er selbst verneint einen Interessenkonflikt aufgrund seiner Anwaltstätigkeit. Sein „berufliches Standbein“ sei „das Fundament“ seiner „politischen Unabhängigkeit“, äußerte er 2015. Ob er seine Nebenverdienste aufgibt, wenn er zum Bundesverfassungsrichter ernannt wird? Die Organisation Abgeordnetenwatch hat ihn dazu bereits gefragt:

„Können Sie die gerichtliche Unabhängigkeit mit Ihrer bisherigen Tätigkeit mit reinem Gewissen gewährleisten?“ Frage von Abgeordnetenwatch an Stephan Harbath

Sollte ein katholischer Reformgegner Präsident des Bundesverfassungsgerichts werden?

Mir persönlich erscheint eine andere Interessenkollision problematischer: Harbaths gestrige Einstellung zu markanten gesellschaftspolitischen Entwicklungen.

Seit Monaten bemühen sich Vertreterinnen aller Parteien darum, endlich den § 219a Strafgesetzbuch abzuschaffen. Die Vorschrift, die „Werbung“ für Abtreibungen unter Strafe stellt, stammt aus der Zeit des Nationalsozialismus. Im Bestreben, viele deutsche Babys zu erzeugen, wurden damals die Strafen für einen Schwangerschaftsabbruch verschärft. Außerdem verbot man „Werbung“ für die Abtreibung nach § 219a StGB.

Harbath votiert für Beibehaltung der Strafrechtsnormen rund um die §§ 218 StGB

Im Jahre 2018 wollen alle Parteien den § 219a StGB ändern oder ganz streichen. Alle mit Ausnahme von AfD und CDU/CSU. Entsprechend sprach sich in der Bundestagsdebatte zu § 219a StGB der CDU-Abgeordnete Stephan Harbath gegen eine Abschaffung des Paragrafen 219a StGB aus. Eine Zulassung von „Werbung“ würde das derzeitige Beratungsmodell infrage stellen“. Implizit sprach er sich auch dafür aus, dass die Abtreibung gemäß § 218 StGB weiterhin strafbar bleiben solle. Zur Begründung zitierte er aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1975. Nachzulesen in den Bundestagsdrucksachen vom 22. Februar 2018. Oder zu sehen im Parlamentsfernsehen .

Nun ist es so, dass die derzeit laufenden Gerichtsverfahren wegen § 219a StGB letztlich zu einer Überprüfung der gesamten Regelungen in den §§ 218 ff. StGB führen. Und zwar vor dem Bundesverfassungsgericht. Eine moderne gute Verfassungsgerichtspräsidentin könnte das Urteil von 1975 und auch 1993 ergangene Folgeurteil zur Strafbarkeit von Abtreibungen durch ein neues Urteil revidieren.

Ob ein Verfassungsrichter Harbath für eine Reform modern genug wäre?

Bei einem Richter namens Stephan Harbath, Jahrgang 1971 – genau so alt wie ich -, bin ich mir da nicht sicher. Ich befürchte, würde man ihn nach Karlsruhe berufen, würde das nichts Gutes bedeuten. Weder für Frauenärztinnen wie Kristina Hänel und andere, die aufgrund von § 219a StGB mit unsinnigen Gerichtsverfahren auf Trab gehalten werden. Noch für alle Frauen, die eine Novellierung des Abtreibungsrechts fordern. Beziehungsweise ein modernes Recht, das die reproduktive Selbstbestimmung von Frauen (und ihren Männern) festlegt und Zugang zu sicheren Informationen, Verhütung und Abtreibung gibt.

Dabei dürften auch Harbath die Statistiken bekannt sein: Überall dort, wo das Abtreibungsrecht liberal ist und Frauen Zugang zu Informationen über Familienplanung haben, sind die Abtreibungszahlen niedrig. Und es kommt nicht zu den unfassbar grausamen Verletzungen, die entstehen, wenn sich schwangere Frauen in ihrer Verzweiflung Kurpfuschern anvertrauen, um abtreiben zu lassen.

Ein Bundesverfassungsrichter sollte die Größe und Weitsicht haben, all diese Fakten zu berücksichtigen. Ein Kandidat für dieses Gericht, dass diese Weitsicht von vornherein ausschließt, sollte nicht Präsident des Bundesverfassungsgerichts werden. In diesem Fall sollten alle, die zugestimmt haben, Stephan Harbath 2020 zum Nachfolger Andreas Vosskuhle zu machen, noch einmal in sich gehen.

* Ich schrieb im letzten Blogbeitrag, dass ich hier künftig nur noch die weibliche Form verwenden würde, Männer aber bis auf Weiteres selbstverständlich mitgemeint seien.

Lesen Sie die Fortsetzung: Wie eine moderne Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu § 218 aussehen könnte.

 

 

Kategorie: Aktuelles, Politik, Recht Stichworte: Bundesverfassungsgericht, Frauen, Rechtsanwalt

Sprachwehr für Medien und Politik: So entkräftet man die Lügen der Abtreibungsgegner

19. Oktober 2018 von Eva Engelken Kommentar verfassen

Protestfoto gegen das Urteil wg. § 219a StGBEs ist Zeit für Medien und Politik, sich Begriffe wie Lebensschutz von frauenfeindlichen Abtreibungsgegnern zurückzuerobern. Lebensschutz ist ein Menschenrecht von Frauen und Männern: Nämlich die freie Entscheidung zu Elternschaft, das Recht über die Anzahl und den Zeitpunkt der Geburt der Kinder zu entscheiden und die dafür nötigen Informationen, Kenntnisse und Mittel zu erhalten.

Ich trage selten Hut, aber wenn ich das Geschrei der selbsternannten Lebensschützer höre, platzt mir die sprichwörtliche Hutschnur. Diese Herrschaften lügen dreist, wenn sie behaupten, Abtreibungsverbote wären notwendig, um „Leben zu schützen“ oder das gestern im Bundestag debattierte „Werbeverbot“ für Abtreibungen in § 219a StGB diene dazu, Leben zu schützen.

Gesetze wie der § 219a StGB dienen nicht dem Lebensschutz, sondern dazu, Lebensrechte einzuschränken

Man möchte rufen: „Lüge, Lüge, Lüge!“ Denn in Wahrheit geht es den Abtreibungsgegnern und den Gegnern von § 219a StGB darum, Frauenrechte einzuschränken. Um Leben zu schützen, gäbe es erheblich wirkungsvollere Mittel als Strafgesetze. Das wissen die Gegner genau. Bei anderen Themen schimpfen sie auf den „Verbotsstaat“, aber bei den reproduktiven Rechten der Frau passen ihnen Verbote in den Kram.

Warum? Weil es ihnen eigentlich vielmehr darum geht, ihre Herrschaft über die Frau zu reinstallieren. Im Fall der AfD & Co sogar heftiger: Sie wollen eine rassistische Wahnwelt verwirklichen. Eine Welt, in der deutsche, mit dem Mutterkreuz prämierte Frauen, wie Zuchtkühe Horden deutscher Kinder gebären. Durch die „Gebärmutter der deutschen Frau“ soll der jüngst wieder von Gauland herbeifantasierte „Bevölkerungsaustausch“ verhindert werden. Diesen Schmarrn muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen!

Es ist höchste Zeit, sich die Begriffe von den Frauenfeinden zurückzuerobern

Leider reicht im Herbst 2018 ein Kopfschütteln über diese Spinner nicht mehr aus. Tun ist gefragt. Wir alle, die wir schreiben und per Radio oder Bewegtbild Nachrichten und Meinungen in die Welt entlassen, sollten von den rassistischen Frauenfeinden unsere Sprache zurückholen.

Lebensschutz heißt notwendigerweise Frauenschutz

Dazu gehört als erstes der Begriff Lebensschutz. Lebensschutz im Zusammenhang mit Schwangerschaft muss notwendigerweise immer auch Frauenschutz sein. Frau und ungeborenes Kind sind eine Einheit. Selbst das Bundesverfassungsgericht spricht von „Zweiheit in Einheit“.

Werden Sie nicht müde, darauf hinzuweisen, dass Frauen und Männern reproduktive Rechte zustehen

Frauen und Männer haben das Recht auf reproduktive Rechte und Gesundheit. Echter Lebensschutz wahrt diese Rechte.

Definition der Böll-Stiftung von reproduktiven Rechten:

Reproduktive Rechte und Gesundheit beschreiben das Recht eine*r jede*n Einzelnen, selbstbestimmt und frei über den eigenen Körper und die eigene Sexualität zu entscheiden. Dies bedeutet vor allem die freie Entscheidung zu Elternschaft, das Recht über die Anzahl und den Zeitpunkt der Geburt der Kinder zu entscheiden, sowie über die dafür nötigen Informationen, Kenntnisse und Mittel zu verfügen.

Diese als Menschenrechte verstandenen Rechte sind für Frauen* und Mädchen* besonders wichtig. Jede Frau* und jedes Mädchen* hat das Recht, selbst zu entscheiden, ob, wann und in welchen Abständen sie schwanger werden will. Sowohl erzwungene Schwangerschaftsabbrüche als auch das Verbot von Abtreibungen verletzen dieses Recht.

Quelle: Böll-Stiftung

Nehmen Sie den Hetzern den Begriff vom Lebensschutz weg und geben sie ihn Frauen

Formulierungsbeispiel

Sagen Sie: „Die für Frauen- und Lebensschutz kämpfende Politikerin XY fordert eine unverzügliche Abschaffung des die reproduktiven Rechte einschränkenden Werbeverbots in § 219a StGB.“

Tappen Sie nicht in die Framing-Falle von der „Kindstötung“

Fatal ist es, den Frauenrechtsgegnern den Begriff von der „Kindstötung“ nachzubeten. Dieser Begriff aktiviert die entsetzliche Vorstellung (= Frame)  von einem Kind, das von seiner Mutter getötet wird. Doch das entspricht nicht der realen Situation. Die Entscheidung für eine Abtreibung trifft eine Frau, die eine befruchtete Eizelle in sich trägt, sich aber in der Notlage befindet, sich gegen eine Schwangerschaft entscheiden zu müssen.

  • Womöglich hat sie schon ein oder mehrere Kinder zu versorgen, sodass ein weiteres Kind, wenn es zur Welt käme, vernachlässigt werden würde.
  • Umgekehrt könnte das weitere Kind sie dazu bringen, die schon vorhandenen Kinder zu vernachlässigen.
  • Es könnte sein, dass sie gesundheitlich nicht (mehr) in der Lage ist, das Kind auszutragen, ohne ihre Gesundheit unzumutbar zu gefährden.
  • Vielleicht ist sie auch nur einfach, was schlimm genug wäre, durch ein weiteres Kind von Armut bedroht.
  • Vielleicht gibt es keinen Partner
  • Oder oder oder….

Es kann viele Gründe geben, warum sich eine Frau gegen ein noch zu gebärendes Kind entscheidet. Diese elementare Entscheidungssituation sollten Sie sprachlich nicht ausklammern.

Sprechen Sie statt vom Schwangerschaftsabbruch lieber von der „Entscheidung gegen eine Schwangerschaft“

Vermeiden Sie es, vom Schwangerschaftsabbruch zu sprechen. Sprechen Sie statt von einem Schwangerschaftsabbruch oder einer Abtreibung immer von einer „Entscheidung gegen eine Schwangerschaft“. Damit rücken Sie die Frau nicht in die Nähe einer Mörderin, wie es die frauenfeindlichen Gaulands & fundamentalistischen Christen gerne hätten. Stattdessen lassen Sie die Hoheit bei der Frau, die ihre reproduktiven Rechte wahrnimmt.

Reden Sie nicht vom ungeborenen Kind, sondern von der Leibesfrucht und der Zweiheit in Einheit

Gehen Sie noch weiter. Benutzen Sie im rund um das Thema Abtreibung möglichst nicht die Bezeichnung Kind. Verwenden Sie den juristischen Begriff von der Leibesfrucht. Oder den lateinischen Begriff vom Nasciturus (= das noch zu Gebärende).

Beide Begriffe tragen auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung. Dieses hat in Bezug auf das ungeborene Kind oder den Embryo oder Fötus den Begriff geprägt von der „Zweiheit in Einheit“. Dieser Begriff trägt der – auch von Juristen angerkannten – Tatsache Rechnung, dass sich das Wunder Mensch erst nach und nach im Bauch einer Frau entfaltet.

Titulieren Sie „Lebensschützer“ als das, was sie sind: Frauenrechtsgegner

Hören Sie auf, den fanatischen Rassisten, Biologisten und Mutterkreuzlern den Ehrentitel Lebensschützer zu geben. Der impliziert, dass sie tatsächlich „Leben schützen“ würden. Doch das tun sie sie nicht, im Gegenteil.

Abtreibungsverbote führen rund um den Erdball dazu, dass Frauen an medizinisch katastrophalen Abtreibungen sterben oder unsäglich grausame Verletzungen erleiden.

Hinzu kommen die Verletzungen, die Frauen aufgrund von medizinisch schlecht begleiteten Geburten erleiden. Oder Krankheiten, die sie bekommen, weil sie unkontrolliert viele Kinder gebären. Denken Sie auch daran, dass die nicht vorhandene Geburtenkontrolle zu einer irrwitzigen Bevölkerungsexplosion in Afrika und anderen Erdteilen führt. Bevölkerungszuwachs ist eine Hauptursache für Hungernöte und entsprechend eine 1A-Fluchtursache.

Schwadronieren Sie nicht von der „Kultur des Todes“, sondern präzisieren Sie, dass Abtreibungsgegner eine „Kultur des Frauenhasses“ fördern, und dass eine „Kultur des Lebens“ demgegenüber Frauen umfassende reproduktive Rechte einräumen würde

Noch so ein Begriff, den honorige Wissenschaftler, Juristen, christliche Fundamentalisten und wer sich noch alles im schmutzigen Dunstkreis der Abtreibungsgegner herumdrückt, benutzen: Die Kultur des Todes. Was sie meinen, ist klar. Sie meinen, dass erlaubte Abtreibungen den Tod kultivieren, weil der Nasciturus bei einer Abtreibung getötet wird.

Scheinheilig, wie sie sind, klammern sie aus, dass unerwünschte oder selbst geplante Schwangerschaften das Leben der schwangeren Frauen in Gefahr bringen können. Und zwar umso mehr, je stärker die reproduktiven Rechte der Frau eingedämmt werden. Stellen Sie dem Begriff die Kultur des Lebens entgegen. Anders gesagt: Eine „Kultur des Lebens“ gesteht Frauen umfassende Rechte zu: das Recht, über ihre Familienplanung entscheiden zu können und so weiter.

Fortsetzung folgt. Demnächst in diesem Blog

Kategorie: Aktuelles, Kommunikationstipps, Politik, Recht Stichworte: Framing, Frauenrechte, Kommunikation, Presse, Rhetorik, Schwarze Rhetorik

Frauen, wehrt euch! Die Abschaffung von § 219a Strafgesetzbuch kann erst der Anfang sein

18. Oktober 2018 von Eva Engelken 1 Kommentar

Unrat zu beseitigen, ist nicht einfach, Unrecht zu bereinigen, noch viel schwerer. Doch am allerschwierigsten ist es, Unrecht zu beseitigen, das auf nationalsozialistischen Normen beruht. Umso mehr sollten die Abgeordneten den Deutschen Bundestages alle Kräfte zusammennehmen, um endlich eine Unrechtsvorschrift aus der Nazidiktaktur zu entfernen, die sich trotz allem Ärger, den sie verursacht, hartnäckig hält. Den Paragraf 219a StGB, über den am 18.10. der Bundestag berät.

Endlich wieder im Bundestag: Der Antrag, den Naziparagrafen abzuschaffen

Genau genommen wird über drei Anträge beraten, die von der Links-, Grünen- und FDP-Fraktion eingebracht wurden. Die Linken wollen die Vorschrift § 219a StGB ganz abschaffen, die Grünen im Wesentlichen auch. Die die FDP will nur das „Werbeverbot“ entschärfen, indem sie nur noch „grob anstößige Werbung“ ahnden will.

Es geht nicht um Werbung, sondern um Information für Frauen, die sich in einer Notlage befinden

Das Verbot auf grob anstößige Werbung zu reduzieren, wie die FDP fordert, dürfte nicht zielführend sein, weil es dann immer noch existiert und Frauenfeinden und (rechts-)extremen Agitatoren eine Handhabe bietet, Frauenärztinnen einzuschüchtern und Frauen ihr ureigenes Recht auf Familienplanung zu nehmen. Schon jetzt ist die Vorschrift sehr zurückhaltend formuliert, gleichwohl wird sie erfolgreich verwendet, um Strafanzeigen gegen FrauenärztInnen zu begründen. Darunter der der schon vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilten Babycaust-Betreiber Klaus Günter Annen und ein Mathematikstudent aus Kleve namen Markus Krause.

Es formiert sich der Protest gegen die Bevormundung: in der Gesellschaft, in der Politik und im Gerichtssaal

  • Aber es gibt Hoffnung im Kampf um die Hoheit über die Körper von Frauen. Zum einen formieren sich immer mehr Menschen zum Widerstand.
  • Die Solidaritätsbewegung für die Gießener Frauenärztin Kristina Hänel ist einer der Startpunkte.
  • Das in Berlin angesiedelte Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung eine kräftig wachsende Pflanze.
  • Unterstützung kommt auch aus der offiziell reservierten CDU: Mit der Bundestagspräsidentin und Bundesministerin a. D. Professor Dr. Rita Süssmuth hat ein zwar altes, aber prominentes Parteimitglied kürzlich öffentlich gegen Paragraf 219a Strafgesetzbuch Stellung bezogen.
  • Auch in der noch zaudernden SPD wünschen sich viele den Paragrafen weg. Darunter die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen im Bezirk Hessen-Süd, die Kristina Hänel für ihr Engagement mit dem Olympe-de-Gouges-Ehrenpreis ausgezeichnet hat. Olympe de Gouge ist bekanntermaßen die Verfasserin der Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin von 1791.
  • Bundesfamilienministerium Dr. Franziska Giffey (SPD) spricht Kristina Hänel zwar auf Facebook ihre „Solidarität“ aus, doch wie genau ihr „Lösungsvorschlag“ aussieht, ist nicht ganz klar: „

Franziska Giffey

13. Oktober um 16:35 ·
Meine Solidarität für Kristina Hänel! Ich werde alles, was in meiner Macht als Frauenministerin steht, tun, um Ärztinnen und Ärzte, die Schwangeren in Not Hilfe, Beratung und Unterstützung geben, zu entkriminalisieren. Der Paragraph 219a des Strafgesetzbuchs muss geändert werden. Betroffene Frauen haben ein Recht auf Information und Ärztinnen und Ärzte ein Recht auf Rechtssicherheit. Gemeinsam mit Justizministerin Katarina Barley haben wir einen Lösungsvorschlag dafür ausgearbeitet. Wir machen uns stark, um mit der CDU/CSU eine Einigung darüber zu erreichen. So wie es jetzt ist, kann es nicht weiter gehen.

Berufungsrichter selbst verweist nach Karlsruhe wegen der Verfassungswidrigkeit von 219a

Zum anderen gibt es aus dem Gerichtssaal erste Signale, dass die Tage der Nazivorschrift gezählt sind. Zwar hat das Landgericht Gießen die erstinstanzliche Verurteilung zu 6.000 Euro Strafe der Frauenärztin Kristina Hänel wegen Verstoß gegen § 219a StGB bestätigt – weil Hänel auf ihrer Website über die von ihr angebotene ärztliche Leistung Abtreibung informiert hat. Aber der Vorsitzende Richter Johannes Nink hat expliziert ausgesprochen, dass der die Vorschrift § 219a StGB für verfassungswidrig hält. Man fragt sich, warum er dann nicht eigentlich das Verfahren ausgesetzt hat, um die Vorschrift im Wege einer konkreten Normenkontrollklage dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Aber sei es drum. Nun haben die Revisionsinstanz oder das Bundesverfassungsgericht die Gelegenheit, dafür zu sorgen, dass eine weitere Nazivorschrift auf den Müllhaufen der Geschichte wandert.

Zeit für das Bundesverfassungsgericht, seine Grundsatzentscheidung oder deren Umsetzung neu zu justieren

Und übrigens: die immer wieder herangezogene Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach der Lebensschutz der Ungeborenen höher als das Selbstbestimmungsrecht der Frau zu gewichten sei, ist kein Hinderungsgrund für die Abschaffung von § 219a oder insgesamt der Abschaffung der §§ 218 ff. Schon damals, 1975, erklärten führende Strafrechtler, etwa Claus Roxin, der vom Verfassungsgericht geforderte Lebensschutz könne auch ohne Bestrafung der Frau erreicht werden. Na, bitte!

Letztlich geht es darum, Frauen das Recht über ihren Körper (zurück) zu geben – zum Wohle aller

Allgemein und weltpolitisch dürfte  ohnehin längst klar sein, dass es bei der Frage „Abtreibung – ja oder nein?“, die auch dem Kampf gegen § 219a zugrundliegt, um einen immer unsinnigeren Machtkampf geht, in dem Frauenkörper und Babys als strategisches Kriegsgerät eingesetzt werden. Die irrwitzige Logik: Wer die meisten Kinder produziert, beherrscht die Welt.

Dabei ist eins der größten Probleme Afrikas, und damit der ganzen Welt, die unkontrollierte Geburtenkontrolle, wie das Handelsblatt gerade wieder berichtete. Die Lösung wäre, Frauen zu befähigen, rigoros ihr Recht auf reproduktive Selbstbestimmung wahrzunehmen. Doch stattdessen überbieten sich katholische Kirche und islamische Herrscher darin, Frauen Informationen zu Familienplanung vorzuenthalten und sie zu Gebärmaschinen zu degradieren. Der Papst Franziskus vergleicht Abtreibung mit Auftragsmord, und den AfD-Anhängern hierzulande fällt nichts besseres ein, als Abtreibung ebenfalls zu verbieten, als Teil ihres wahnwitzigen Masterplans. Dieser besteht darin, das von Thilo Sarrazin befürchtete Aussterben der Deutschen und die Überfremdung mit Auslängern zu kontern: Mit einer Flut an deutschen Babys, die von deutschen Müttern geboren werden. Geht’s noch, Jungs???

Wir sind alles Menschen und bewohnen alle denselben Planeten. Und damit dieser Planet überlebt, wäre es eine gute Maßnahme, Frauen das Recht über ihren eigenen Körper (zurück) zu geben. Schlimmer als mit euch kann es nicht werden. Aber womöglich deutlich besser.

#frauenland #fraubellion #wedoittogether #wegmit219a

Ergänzung: Hier geht’s zur Beratung im Bundestag:

Hilfreicher Link: Bündnis Pro Choice:

https://www.facebook.com/PRO.Familienplanung

Kategorie: Aktuelles, Politik, Recht Stichworte: Frauen, Frauenrechte, Gericht, Urteil

Der Fall Sigi Maurer: Frauen müssen nicht schweigen, um Täter zu schützen

12. Oktober 2018 von Eva Engelken Kommentar verfassen

Wenn der Rechtsschutz Lücken hat, müssen die obersten Gerichte sie schließen. Der Fall der wegen übler Nachrede verurteilten österreichischen Grünen-Politikerin Sigi Maurer ist so einer.

Was ist passiert? Eine junge Politikerin wird per Facebooknachricht in vulgärer Weise angemacht. Als sie sich per Strafanzeige wehren möchte, erfährt sie, dass die Attacke nach österreichischem Recht nicht strafbar ist, da sie nur im privaten Facebookpostfach gelandet ist und nicht in der öffentlichen Timelime.

Öffentlichkeit herstellen, wenn das Strafrecht nicht hilft

Schon bei dieser Information sträuben sich einem die Nackenhaare, doch Sigi Maurers Fall geht noch weiter. Wenn das Recht nicht hilft, hilft vielleicht öffentliche Kontrolle, dachte sich die Politikerin. Also veröffentlicht sie die schmierigen Facebooknachrichten und den Namen des mutmaßlichen Absenders auf Twitter. Der ist Inhaber eines Bierladens, vor dem sie unmittelbar vor Erhalt der Nachrichten „von Männern belästigt und angepöbelt worden“ war. Der Bierladenbesitzer verklagt sie wegen übler Nachrede und Kreditschädigung. Das erstinstanzliche Gericht verurteilt sie wegen übler Nachrede zu insgesamt 7000 Euro Straf- und Schmerzensgeld.

Was die nächste Instanz im Fall Sigi Maurer prüfen könnte: Notwehr

Zum Glück ist das Urteil noch nicht rechtskräftig und gottseidank will Sigi Maurer mit ihrer Anwältin in Berufung gehen. Es ist Zeit, dass Gerichte die Lücke im Rechtsschutz für Frauen schließen.

Die Frage, die sie klären müssen, lautet:

Dürfen sich Frau gegen anonyme sexistische Attacken in den sozialen Medien wehren?

Mein Rechtsgefühl sagt: Sigi Maurer durfte sich mit der Veröffentlichung der Facebooknachrichten auf Twitter wehren. Mehr noch: sie musste es sogar, um ihren Platz in der Gesellschaft als Frau und Politikerin zu behaupten.

Könnte die Politikerin vielleicht aus Notwehr gehandelt haben?

Der Gesichtspunkt, unter dem man die Twitter-Veröffentlichung betrachten sollte, ist der Rechtfertigungsgrund der Notwehr. Notwehr im strafrechtlichen Sinne ist eine Maßnahme, die geeignet, erforderlich und angemessen ist, einen rechtswidrigen Angriff abzuwehren. Begeht jemand aus Notwehr eine Straftat, ist die Tat gerechtfertigt und im Ergebnis nicht strafbar. Auf Sigi Maurer bezogen: War die „üble Nachrede“ Notwehr, wäre sie nicht strafbar.

Sind obszöne Facebooknachrichten ein „rechtswidriger Angriff“?

Die erste Hürde ist die Frage: Lag überhaupt ein gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff vor? Bezogen auf Sigi Maurer: Waren die sexistischen Nachrichten ein solcher Angriff ? Von Juristinnen erfuhr Sigi Maurer , dass sie zumindest nach österreichischem Recht keine strafbare Beleidigung darstellten, weil diese Öffentlichkeit verlangt.

Die Berufsinstanz könnte aber prüfen: Lag nicht dennoch ein rechtswidriger Angriff auf Rechtsgüter der Politikerin und Frau Sigi Maurer vor?

Bedrohliche Gesamtsituation: Anpöbeln auf der Straße und „Einladen zum Schwanzlutschen“

Betrachten wir die Gesamtsituation. Laut Pressebericht wurden die obszönen Nachrichten an Sigi Maurer verschickt – vom Facebookaccount des Ladenbesitzers – , kurz nachdem sie persönlich bei diesem Geschäft war und von Männern angepöbelt wurde.

Ging es also nicht nur gegen die schmierigen Chatmitteilungen, sondern auch um die Belästigung durch den Ladenbesitzer und die Männer vor dem Laden? Könnte beides zusammen den Tatbestand einer Nötigung erfüllen?

Wurde Sigi Maurer genötigt? Halt den Mund oder du wirst attackiert?

Eine Nötigung im strafrechtlichen Sinne liegt vor, wenn der Täter sein Opfer durch das In-Aussicht-Stellen eines Übels zu einem bestimmten Verhalten bringt. Bevor Sigi Maurer die Facebooknachrichten erhielt, wurde sie vor dem Bierladen von Männern angepöbelt, dann wurde sie via Facebook „eingeladen“, beim nächsten Besuch des Bierhändlers einen „Schwanz“ zu „lutschen“. Als Frau übersetze ich das mit: „Wenn du dich nochmal bei meinem Bierladen zeigst, wirst du wieder angepöbelt, sexistisch beleidigt oder konkret sexuell attackiert.“

Ich brauche nicht viel Fantasie, um in dem Gesamtkomplex eine Bedrohung von Sigi Maurer zu erkennen: auf ihre Gesundheit und im weiteren Sinne auf ihre Bewegungsfreiheit und ihre Arbeit als Politikerin.

War die Bedrohung für Sigi Maurer „gegenwärtig“?

Eine besondere Anforderung des Notwehrrechts ist es, dass der Angriff „gegenwärtig“ sein muss. Man darf sich nicht präventiv gegen zukünftige Angriffe wehren. Ich glaube aber, die Berufungs- oder Revisionsinstanz könnte die Gegenwärtigkeit des rechtswidrigen Angriffs durchaus bejahen. Und zwar weil die „Bedrohungslage“ fortbestand. Ihr war implizit angedroht worden, dass Angriffe folgen könnten, wenn sich sich nochmal in die Nähe des Bierladens begeben würde.

Geeignet, erforderlich und angemessen?

Die zweite Hürde, die die Twitterveröffentlichung überwinden müsste: War sie die Notwehrhandlung geeignet, erforderlich und angemessen, um den Angriff zu beenden? An der Geeignetheit dürfte das höhere Gericht keine allzugroßen Zweifel hegen. Eine anonyme Bedrohung publik zu machen, um den Bedroher dazu zu bringen, von seiner Bedrohung abzulassen, ist ein gangbarer Weg.

Welche Wahl haben Frauen: Rückzug aus der Öffentlichkeit oder Gegenwehr?

Interessant wird’s bei der Prüfung der Erforderlichkeit der Notwehr. Denn hier müsste das Gericht erörtern, was eine Frau in der Gesellschaft darf.

Erforderlich im juristischen Sinne ist eine Notwehrhandlung, wenn es kein milderes, gleich geeignetes Mittel gibt, den Angriff zu stoppen.

  • Eine Strafanzeige war keine Möglichkeit für Sigi Maurer, weil die Facebooknachrichten als Privatnachrichten nach österreichischem Recht keine justiziable Beleidigung darstellten.

Was hatte sie sonst für Möglichkeiten?

Eine sichere Methode, sich einer Nötigung und künftigen Belästigung durch den Bierladenbesitzer oder andere  Männer zu entziehen, ist der Rückzug. Hätte Sigi Maurer aufgehört, sich politisch zu äußern oder Orte zu meiden, wo sie beleidigt wird, hätte sie mit einer gewissen Logik weitere Attacken  ausgeschlossen.

Kurze Röcke zu vermeiden und abends nicht auszugehen, bietet keinen Schutz vor sexueller Belästigung

Diese Logik erinnert fatal an Ratschläge an Frauen, doch besser keine kurzen Röcke anzuziehen, damit sie nicht vergewaltigt werden. Wie die Erfahrung lehrt, liegt es jedoch nicht am kurzen Rock, ob Frauen vergewaltigt werden oder nicht, sondern am mangelnden Respekt. Folgerichtig hat Sigi Maurer das Richtige gemacht, als sie sich gewehrt hat, anstatt sich als Politikerin mundtot machen und ihren Bewegungsradius als Frau einengen zu lassen.

Angemessenheit: in der Waagschale liegen Bewegungs- und Redefreiheit der Frau gegenüber dem guten Ruf ihres Agressors

Nehmen wir an, auch das Berufungs- oder Revisionsgericht käme zu der Ansicht, dass die Twitterveröffentlichung eine erforderliche Notwehrhandlung war, bleibt immer noch dritte Hürde: Die Notwehrhandlung müsste angemessen gewesen sein.

Wenn Juristen die Angemessenheit einer Notwehrhandlung prüfen, wägen sie kollidierende Rechtsgüter gegeneinander ab. Rechtsgüter, die auf Sigi Maurers Seite in der Waagschale liegen, sind, wie schon erwähnt, ihre sexuelle Selbstbestimmung, ihre körperliche Unversehrtheit und ihre Bewegungs- und Redefreiheit als Frau und Politikerin. Was für den Bierladenbesitzer in der Waagschale liegt, sind sein guter Ruf und seine Kreditwürdigkeit, beides unverzichtbare Faktoren für seine berufliche Existenz.

US-Richter Brett Kavanaugh hatte kein Recht auf das Schweigen von Blaisey Ford

Hätte Sigi Maurer also lieber schweigen sollen, um das Geschäft eines sie mutmaßlich belästigenden Mannes nicht zu gefährden? Es gehört nicht viel dazu, hier Parallelen zum Fall Kavanaugh zu erkennen. Den mittlerweile vereidigten Richter am US-Supreme Court nahm US-Präsident Trump in seiner ganzen Frauenfeindlichkeit zum Anlass, von einer Gefährdung der Männer „Scary times“ zu sprechen, und zwar durch Frauen, die die Karrieren der Männer gefährden, indem sie sexuelle Attacken publik machen. In Trumps irrem Universum hatte Brett KavanauAbergh ein Recht darauf, nicht für seine mutmaßlichen sexuellen Attacken zur Schau gestellt zu werden?

Die Europäische Menschenrechtscharta gibt Tätern kein Recht auf das Schweigen ihrer Opfer

Nach Trumps Meinung hätte Blaisey Ford schweigen müssen, um Kavanaughs Karriere nicht zu gefährden. Aber Trumps frauenfeindliches Weltbild ist nicht das der europäischen Menschenrechtscharta, die in letzter Instanz für Sigi Maurers Notwehr gilt. Nach unserer Rechtsordnung haben Täter kein Recht darauf, dass Opfer schweigen, um ihnen eine rechtsstaatliche Sanktionierung zu ersparen. Im Gegenteil.

Es ist Zeit, dass Frauen sich zur Wehr setzen

Wir haben das Jahr 2018, und Frauen haben lange genug geschwiegen: über sexuelle oder sonstige Attacken auf ihre Körper, ihre Redefreiheit und letztlich auf ihre gesamte Teilhabe an der Gesellschaft. 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland ist es an der Zeit, dass Frauen den Mund aufmachen und Attacken oder Bedrohungen öffentlich machen. Das gilt für Österreich genau so wie für Deutschland, Frauen wie die Moderatorin Dunja Hayali, die Publizistin Alice Schwarzer, die Komikerin Carolin Kebekus,  und viele andere reflexartig mit Attacken überzogen werden, sobald sie den Mund aufmachen.

Auch wenn Angriffe nicht strafbar sind, bleiben sie dennoch Angriffe

Frauen dürfen und sollten sich wehren dürfen. Das gilt auch, wenn Angriffe wie im Fall von Sigi Maurer durch eine rechtlich nicht geschützte Lücke kommen, wie über eine sogenannte Privatnachricht im Facebook-Account.  Denn das Attacken auf Frauen via Social Media und „Privatnachrichten“ gefahren werden, macht sie nicht zu Nicht-Attacken.  Entsprechend müssen sich Frauen dagegen wehren, um ihre Rechte zu verteidigen. Sigi Maurer hat alles richtig gemacht. Es ist Zeit, dass Gerichte das bestätigen.

Kategorie: Aktuelles, Politik Stichworte: Frauen, Kommunikation, Männer, Trump

Politikkommunikation: Söders Lamento über den vermeintlichen Verlust der Freiheit

28. September 2018 von Eva Engelken Kommentar verfassen

Rechtsstaatliche Verbote schränken die Freiheit der Mächtigen zugunsten der Rechte der Schwächeren ein. Eigentlich sollte das klar sein, doch der Jurist und CSU-Spitzenkandidat Markus Söder ignoriert im bayrischen Landtagswahlkampf diese Tatsache. „Ich möchte einen Freistaat und keinen Verbotsstaat“, sagte er am 27.9. in seiner Regierungserklärung und beklagte sich über „Tempolimits, Fahrverbote, Fleischverbote, Werbeverbote, Genderverbote.“

Söder beschwert sich hier über die „umgreifende Verbotskultur“ und nennt als Beispiele: „Tempolimits, Fahrverbote, Fleischverbote, Werbeverbote, Genderverbote.“
1. Das ist die Partei, die an manchen Tagen das Tanzen verbietet.
2. Was zum Geier sind denn „Genderverbote“? pic.twitter.com/3lqWd6wXmy

— Samira El Ouassil (@samelou) 27. September 2018

Rosa Luxemburg: Die Freiheit der Andersdenkenden

Bei solch einem Lamento denke ich sofort an Rosa Luxemburg, die 1919 ermordete Politikerin, von der das Zitat stammt, dass Freiheit immer „die Freiheit der Andersdenkenden“ sei.

Wenn mächtige, meist männliche Personen, einen drohenden Verlust der Freiheit beschwören, beklagen sie in Wahrheit, dass ihnen Freiheiten genommen werden, die sie sich bisher auf Kosten anderer nahmen.

Das laute Getöse über die „Verbotskultur“ (Söder) und den angeblichen Verlust von Freiheit ist ein beliebter Versuch, davon abzulenken. Zwar dürften in einer Demokratie nicht nur die Mächtigen bestimmen, wer sich welche Freiheiten nehmen darf, aber sie versuchen es. Klagt Söder über Verbote, reiht er sich bei den selbsternannten Freiheitskämpfern ein, die in Wahrheit nur dafür kämpfen, anderen weiterhin ihre Freiheiten zu nehmen.

Das Verbot, nicht mehr unterdrücken zu dürfen, ist ein hinnehmbarer Verlust an Freiheit

Erstes Beispiel: Das von Söder kritisierte „Genderverbot“ ist vielen von ihnen ein Dorn im Auge. Lästige Frauen, die fordern, man möchte sie in geschriebenen Texten mitnennen und nicht nur im Geheimen mitmeinen, sind im Jargon der bedrohten Freiheitskämpfer vom „Genderwahn“ ergriffen, was so viel bedeutet wie: eigentlich gehören sie in die Klapse.

Die konservativen Medien schlagen sich ganz gerne auf die Seite der Söder’schen Freiheitskämpfer. Ein Beispiel aus der jüngsten Geschichte des Kampfel zwischen Mann und Frau: Es erörterten im Frühjahr 2011 einige Medien hierzulande die vermeintliche Prüderie der Amerikaner und stellten die Frage, ob man alten Männern kein reges Sexualleben mehr gönnen dürfe. Den Anlass dazu gab die Strafanzeige des Zimmermädchens Nafissatou Djallo im Mai 2011 in New York gegen den französischen Chef des Weltwährungsfonds, Dominique Strauss-Kahn. Er hatte sie im Hotel Sofitel zum Oralsex gezwungen.

Das Recht der Schwächeren, ihre Rechte durchzusetzen: Strauss-Kahn versus Zimmermädchen

Die Frage, die die Medien mit dem Begriff der „Prüderie“ stellten, lautete:

Liebe Frauen (und Männer), wenn ihr es nicht normal findet, dass sich ein französischer Mann (Subtext: Franzosen sind bekanntermaßen hervorragende Liebhaber) im Hotel die Freiheit nimmt, gewisse Bedürfnisse auszuleben, seid ihr vielleicht einfach nur verklemmt?

Erst zögerlich brach sich in der Berichterstattung die Erkenntnis Bahn, dass eine Hotelangestellte, die in der gesellschaftlichen Hierarchie tief unter einem angehenden Präsidentschaftskandiaten steht, ihre Freiheit auf sexuelle Selbstbestimmung einfordern und vor Gericht durchsetzen darf. Und dass eine solche Anzeige kein Angriff auf das Sexulleben älterer Männer ist, wohl aber auf ihre ungezügelte Machtausübung. Wie schwer die Unterscheidung fällt, zeigt die #Metoo-Debatte, die zahlreiche Medien zum Anlass nahmen, allen Ernstes zu fragen, ob Männer jetzt wohl noch mit Frauen flirten dürften.

Tempolimits schützen Langsamfahrer

Zweites Beispiel, gleiches Grundproblem: Um die Freiheit der anderen geht es auch bei den von Söder beklagten Tempolimits auf Autobahnen. Natürlich sind Tempolimits Freiheitseinschränkungen. Sie beschränken die Möglichkeiten der mit starken Motoren ausgestatteten Raser, die Autobahn zu beherrschen und klimaschädliches CO2 in die Luft zu pusten.

Auf der anderen Seite schützen Tempolimits die Rechte derjenigen VerkehrteilnehmerInnen, die nicht mit 180 sondern nur mit 120 km/h überholen können. Und uns alle schützen Tempolimits und Fahrverbote vor der Klimakatastrophe. Dass der Hitze- und Dürresommer 2018 auch die Freiheit der bayrischen Landwirte bedroht hat, dürfte selbst Herrn Söder nicht entgangen sein.

Als promovierter Jurist sollte Markus Söder wissen, dass Rechte und insbesondere Grundrechte in einem Rechtsstaat immer in praktische Konkordanz gebracht werden müssen. Das bedeutet „Übereinstimmung“. Laut der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen, wenn eine Freiheit mit einem anderen Recht von Verfassungsrang in Widerstreit gerät, beide „mit dem Ziel der Optimierung zu einem angemessenen Ausgleich“ gebracht werden. Anders gesagt: Wer ein Verbot ablehnt, muss berücksichtigen, dass dieses, die Freiheit der Mächtigen einschränkende Verbot, unter Umständen der Freiheit der bislang vernachlässigten Schwächeren zum Sieg verhilft.

Es wäre gut, wenn sich ein Mann, der sich zum Ministerpräsidenten eines Freistaats wählen lassen möchte, diese Freiheit der Andersdenkenden berücksichtigt.

Kategorie: Aktuelles, Kommunikationstipps, Politik Stichworte: Bundesverfassungsgericht, CSU, Freiheitsrechte, politische Kommunikation, Rhetorik

Framing III: Liebe Süddeutsche Zeitung, hör auf und fang an!

4. September 2018 von Eva Engelken Kommentar verfassen

Liebe Süddeutsche Zeitung! Bitte hör auf und fang an!

Ich habe dich seit vielen Jahren abonniert, du bist einer der Orte, wo ich zuhause bin, wenn man das zu einer geistigen Heimat so sagen darf. Also hör bitte auf, Rechtspopulisten Raum zu geben und fang an, aktiv die Demokratie zu fördern!

Rechtspopulisten Raum geben, heißt, Rechtsextremisten den Weg ebnen, heißt, Nazis fördern. Nazis hatten wir schon mal in Deutschland. Sie haben 6 Millionen Juden ermordet, den 2. Weltkrieg ausgelöst und millionenfach Leid und Tod verursacht, und bei den Überlebenden eine massive Traumatisierung ausgelöst, deren eklige Finger selbst noch die Kriegsenkel erreichen. Weshalb viele von ihnen, obwohl in Frieden und Wohlstand aufgewachsen, an Ängsten und Depressionen leiden, was immer mal wieder zu Suiziden führt, sozusagen als späte Kollateralschäden der Nazidiktatur. Zwei solcher Fälle habe ich meinem engsten Umfeld erlebt. Du verstehst, dass ich das NIE. WIEDER. MÖCHTE. Und deshalb hör bitte auf, Nazis den roten Teppich auszurollen.

„Aber entschuldigen Sie, Frau Engelken, hier breitet doch niemand den Nazis den roten Teppich aus!“

„Du tust es, liebe Süddeutsche Zeitung, indem du ihren geistigen Vätern (und Müttern) Platz einräumst.“

Zum Beispiel am vergangenen Donnerstag, den 30. August 2018. Ich musste wirklich schlucken, als ich den Aufmacherartikel deines Feuilletons entdeckte: Oben drüber prangte ein riesiges Foto eines schlechtgelaunten alten weißen Mannes, dessen Namen ich aus Framing-Gründen hier nicht nennen mag. Nur zur Einordnung: Er war mal Bundesbanker, und seine Gedanken haben die Hirne sämtlicher AfD-Sympathisanten gründlich eingeweicht.

Du weißt, was Framing bedeutet. Nämlich, dass die Nennung eines Gedankens seiner Verbreitung dient. Und du weißt, dass eine seitenbreite Foto-Artikel-Kombi einer Werbeanzeige im Wert von hunderttausend Euro für den abgebildeten Mann und sein Gedankengut gleichkommt.

Natürlich beleuchtet Sonja Zekri, die im Übrigen von mir sehr geschätzte Rezensentin, das neue Buch des alten Mannes kritisch. „Deutschland braucht dieses Buch so nötig wie einen Ebolaausbruch.“ Und ja, sie äußert die Hoffnung, dass die LeserInnenschaft angesichts der Plattheit der Gedankengänge erkennen möge, wie überzogen manche Ängste letztlich sind.

Das Ärgerliche ist nur: Ihre kritische Haltung ändert nichts am durch den Artikel verstärkten Framing, dass Deutschland Angst haben müsse. Das rechtfertigt Rassismus und bereitet den Weg für Hetzjagden auf Menschen. Das hatten wir zwischen 1933 und 1945 schon mal.

Gedanken zu verbreiten, heißt Taten denkbar zu machen

„Aber liebe Frau Engelken, nun kommen Sie mal runter von ihrem Horrortrip. Wir machen hier unsere journalistische Arbeit und dazu gehört es, ein literarisches Ereignis wie die Buchveröffentlichung eines kontroversen Bestsellerautors breit zu würdigen.“

Ach, es geht um das Ereignis? Wie weit würdest du dafür noch gehen, liebe Süddeutsche Zeitung? Was würdest du tun, wenn nächstes Jahr ein Hitler-Junior-Autor anträte und ein Buch namens „Mein Kampf 2.0.“ herausbrächte, in dem er die Ermordung der islamischen Rasse als Ultima Ratio darstellte und den Deutschen anheimstellte, zuerst ihre Frauen zum Gebären heim an den Herd zu schicken – ohne Verhütungsmittel, versteht sich – und dann in den 3. Weltkrieg zur Verteidigung der bedrohten deutschen Rasse zu ziehen?

Würdest du auch diesem Autor den Teppich ausrollen und ihm seitenweise Platz in deinem Feuilleton geben? Natürlich nur so lange, wie er und seine Followers es noch nicht geschafft hätten, dich als Teil der von ihm als solche bezeichneten Lügenpresse mit Arbeitsverboten lahmzulegen.

Nein, nein und nochmals nein. Zu deiner Arbeit, liebe Süddeutsche Zeitung, gehört, als die Vierte Gewalt für die Demokratie zu sorgen.

Mach dein Brainwork: Du kannst Themen ins Licht zerren und andere ausblenden.

Wie schon Hildegarf Knef mit Bertolt Brecht sang: „Und man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht“. Indem du deine medialen Scheinwerfer auf einen rechtspopulistischen Vordenker richtest, förderst du sein Gedankengut, machst du die Arbeit der AfD und ihrer Hintermänner. Das ist die Wirkweise von Framing. Nachzulesen bei Elisabeth Wehling „Politisches Framing“.

Nazivordenker sind nicht per se Ereignisse. Medien machen sie dazu. Oder auch nicht.

Herr T.S. und sein neues Buch sind nämlich nicht per se Ereignisse. Erst du und die anderen Medien, die willfährig Journalisten und Journalistinnen zur Pressekonferenz schicken und ihm anschließend seitenweise Feuilletonartikel oder Fernsehberichte widmen, machen ihn zum Ereignis. Du und die anderen, ihr helft mit, dass sich Gedanken und Ängste verbreiten, mit denen AfD & Co auf Wählerfang und 2018 in Chemnitz auf Hetzjagd gehen. Und JournalistInnen drangsalieren. Das begründen sie unter anderem mit Ideen aus dem Buch, für das du am Donnerstag, den 30. August 2018, mit deinem Fotoartikel eine ganzzeitige kostenlose Werbeanzeige veröffentlicht hast.

Rückblickend kann man sogar sagen: Hättest du und jede andere Zeitung mit Verstand den Autor T.S. und sein früheres Buch schon damals ignoriert, hätten seine Ideen nicht solche Verbreitung finden und zum Vorbild für Taten werden können.

Deshalb fordere ich dich auf: Hör sofort auf, solchen Ideen Raum zu geben. Und fang an, aktiv die Demokratie zu fördern! Dazu reicht es heute nicht mehr, Rechtspopulisten und Rechtsextremisten zu ignorieren. Heute muss man etwas anderes an ihre Stelle setzen. Man muss ein negatives Framing durch ein positives Framing ersetzen. Und das muss bald geschehen, die Zeit läuft davon. In Chemnitz haben Neonazis Menschen durch die Stadt gejagt. Längst glauben viel zu viele Menschen, dass Gewalt und Rassismus Probleme lösen und dass man die Demokratie am besten abschaffen sollte.

Positives Framing ist gefragt. Menschenfreundlichkeit ist ein Gewinn. Für Alle.

Gestern haben 65.000 Menschen in Chemnitz ein Konzert der Toten Hosen und Co besucht, um zu zeigen, #Wirsindmehr. Wir, die wir Demokratie und Menschenfreundlichkeit für sinnvoll halten und die wir Fluchtursachen und nicht Menschen bekämpfen wollen. Und deine Aufgabe als Vierte Gewalt, liebe Süddeutsche Zeitung, ist es, sie zu unterstützen!

„Was meinen Sie damit, Frau Engelken? Werden Sie mal konkret! Sie tun ja so, also ob wir demokratiefeindlich wären!“

Ich halte dich für demokratiefreundlich, aber du musst mehr tun. Du musst aktiv für Demokratie eintreten! Du kannst viel stärker als bisher die Vorstellung eines funktionierenden demokratischen und menschenfreundlichen Staates framen. Konkret könntest du deutlich prominenter über Dinge berichten, die eine Demokratie fördern, als über Personen, die sie abschaffen wollen.

  • Zum Beispiel indem du erklärst, wie ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Arm und Reich zu erzielen ist, oder wie jeder einzelne Mensch Fluchtursachen bekämpfen kann.
  • Oder indem du Bücher vorstellst, die nicht die Angst vor dem Fremden schüren, sondern die zeigen, wie aus Flüchtlingen Freunde und integrierte Stützen unserer demokratischen Gesellschaft werden können.
Umweg Jakarta von Biggi Mestmäcker
Umweg Jakarta von Biggi Mestmäcker https://umweg-jakarta.de/

Ich nenne dir mal ein Beispiel: Das als Book-on-demand publizierte Buch „Umweg Jakarta“ von Biggi Mestmäcker ist so eines. Hierin schildert die niederrheinische Autorin, wie sie den Behörden getrotzt und einem syrischen Koch geholfen hat, Frau und Kind nach Deutschland zu holen und hier Arbeit zu finden. Im Gegenzug hat sie, ihre Familie und ihr Netzwerk Freundschaft gefunden und köstliches Essen kennengelernt.

Ich bin sicher, du findest noch viel mehr Beispiele! Und du tust es ja schon, indem du über den Widerstand der von dir so genannten Zivilgesellschaft berichtest!

Du schaffst das, Süddeutsche Zeitung! Ich zähle auf dich!

Danke und liebe Grüße, Deine Eva

Kategorie: Aktuelles, Politik Stichworte: Framing, Journalismus, Journalist, Kommunikation, Männer, Medien

Über den Tellerrand. Das Blog.

teller

Hier finden Sie Tipps, Neues, Interessantes und Wissenswertes rund um Sprache, Marketing, Kommunikation und Legal PR. Wir blicken über den (juristischen) Tellerrand. Seien Sie dabei!



rss RSS Feed abonnieren

Wer hier schreibt

Eva Engelken, PR-Beraterin, Buchautorin, Juristin, Wirtschaftsjournalistin
Weiterlesen…

Themenliste

  • Aktuelles (70)
  • Anwaltsdeutsch (13)
  • Blogparade (1)
  • Download (1)
  • Employer Branding (2)
  • Interviews (8)
  • Kanzleikommunikation (30)
  • Klartext schreiben (6)
  • Kommunikationstipps (16)
  • Politik (7)
  • Presse (11)
  • Public Relations (2)
  • Recht (6)
  • Rezension (11)
  • Sachbuch: Tutorial (10)
  • Seminare (1)
  • Strategie (7)
  • Veranstaltungen (5)

Beitragsarchiv

Auf Facebook Klartext lesen

Facebook

Eva Engelken gefällt

Klartext-AnwaltKlartext-Anwalt

Schlagwörter

Abtreibung Amtsdeutsch Anwaltsdeutsch AnwaltsPR Buch Buchrezension Exposé Facebook Framing Frauen Geschenktipp Internetauftritt Interview Journalist Kanzlei Kanzleikommunikation Kanzleistrategie Klartext Klartext für Anwälte Kommunikation Kommunikationsinstrument Kommunikationsratgeber Leseprobe Mandant Männer Persönlich Persönlichkeit Presse Pressearbeit Pressemitteilung Rechtsanwalt Rezension Rhetorik Schreibtraining Schwarze Rhetorik Seminar Social Media Stil Strategie Textkritik Trump Twitter Verständlichkeit Weihnachten Xing

Kategorien

Eva Engelken

Eva Engelken
Buchautorin, Juristin, Wirtschaftsjournalistin

  • » Zum Profil ...

Aktuelle Termine

Gestaltung von Medienmitteilungen – Praxisseminar, 13.07.-18.07.2014, Richterakademie Trier

Übern Tellerrand. Das Blog.

teller

Hier finden Sie Tipps, Neues, Interessantes und Wissenswertes rund um Sprache, Marketing, Kommunikation und Legal PR. Wir blicken übern (juristischen) Tellerrand. Gucken Sie mit! » Zum Tellerrand-Blog

Eva Engelken

Eva Engelken
Buchautorin, Juristin, Wirtschaftsjournalistin

  • » Zum Profil

Im Social Web

  •  linkedIn
  •  xing
  •  facebook
  •  twitter

Das Buch:

klartext cover Klartext für Anwälte.
Mandanten gewinnen - Medien überzeugen.
Eva Engelken
Linde Verlag 2010
216 S. - 24,90 €

ISBN 9783709303207

Das Buch direkt bestellen:
  • » amazon
  • » Linde-Verlag

Mehr

  • Sitemap – Archiv
  • Impressum und Datenschutz
logo
  • Sitemap – Archiv
  • Impressum und Datenschutz

© 2023 klartext-anwalt.de · Eva Engelken · Text & PR · Tel.: +49 (2161) 4680009 · E-Mail