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Aktuelle Seite: Startseite / Archiv für Abtreibung

Warum Lebensschutz kein Strafrecht braucht – und wie das Bundesverfassungsgericht heute entscheiden könnte

14. November 2018 von Eva Engelken 2 Kommentare

Buchillustration 111 Gründe, Anwälte... von Jana MoskitoWenn erzkonservative christliche Abtreibungsgegnerinnen* juristisch argumentieren, machen sie es sich einfach. Sie verweisen auf das Bundesverfassungsgericht. Mit ihrer Entscheidung von 1975 hatten die Verfassungsrichterinnen die frisch eingeführte Fristenlösung für nichtig erklärt. Begründung: Das ungeborene Leben muss rechtlich geschützt werden. Was die Juristinnen tunlichst verschweigen: Das Bundesverfassungsgerichtsurteil schreibt gar nicht zwingend vor, dass der Lebensschutz per Strafvorschrift erreicht werden müsse. Zumindest waren sich die Bundesverfassungsrichterinnen seinerzeit über diesen Punkt höchst uneinig.

Der Status quo im Jahr 2018: Extreme Abtreibungsgegnerinnen würden gerne die aktuell gültige Beratungsregelung kippen und das Abtreibungsrecht ganz einschränken. Auf der anderen Seite machen sich immer mehr Frauen, versammelt unter dem Stichwort „Pro Choice“, dafür stark, dass die Paragrafen 218 ff Strafgesetzbuch inklusive dem § 219a StGB abgeschafft werden.

Aktueller Fall, der tatsächlich vor dem Bundesverfassungsgericht landen könnte, betrifft das Werbeverbot in § 219a StGB. Ein Blick auf das Minderheitsvotum der Entscheidung von 1975 lohnt sich. Es liefert nämlich gute Argumente, warum ein neues Gesetz die Strafvorschriften gemäß den §§ 218 ff. aufheben könnte. Und warum auch das Bundesverfassungsgericht eine Abschaffung der §§ 218 ff. gutheißen könnte.

Welche Passagen aus dem Urteil zitieren die Abtreibungsgegner?

In der Bundestagsdebatte zu § 219a StGB zitierte der CDU-Abgeordnete Rechtsanwalt Stephan Harbath folgende Passagen aus dem Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1975:

„Das Grundgesetz verpflichtet den Staat, menschliches Leben, auch das ungeborene, zu schützen …

… Rechtlicher Schutz gebührt dem Ungeborenen auch gegenüber seiner Mutter …“

„… Der Schwangerschaftsabbruch muß für die ganze Dauer der Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht angesehen und demgemäß rechtlich verboten sein …

Das Untermaßverbot läßt es nicht zu, auf den Einsatz auch des Strafrechts und die davon ausgehende Schutzwirkung für das menschliche Leben frei zu verzichten.“

Auf der Grundlage dieses Urteils führte der Gesetzgeber damals die bis heute gültige Beratungsregelung ein. Danach ist eine Abtreibung für die Ärztin zwar strafbar, bleibt aber gemäß § 218 a StGB straflos, wenn sich die abtreibende Frau drei Tage vorher hat beraten lassen.

Schon 1975 argumentierten Verfassungsrichterinnen, dass echter Lebensschutz auch ohne Strafrecht auskommt

Was viele nicht wissen – und erzkonservative Abtreibungsgegnerinnen natürlich auch nicht erwähnen: Das Bundesverfassungsgericht hat zwar 1975 geurteilt, dass das Leben Ungeborener vom Staat geschützt werden müsse. Beziehungsweise dass sein Lebensrecht Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Mutter hätte. Aber der Gesetzgeber dürfe grundsätzlich selber entscheiden, wie er den Schutz ausgestaltet.

Zitat aus dem Urteil, Aktenzeichen: BVerfGE 39, 1

Wie der Staat seine Verpflichtung zu einem effektiven Schutz des sich entwickelnden Lebens erfüllt, ist in erster Linie vom Gesetzgeber zu entscheiden. Er befindet darüber, welche Schutzmaßnahmen er für zweckdienlich und geboten hält, um einen wirksamen Lebensschutz zu gewährleisten.
1. Dabei gilt auch und erst recht für den Schutz des ungeborenen Lebens der Leitgedanke des Vorranges der Prävention vor der Repression (vgl. BVerfGE 30, 336 [350]). Es ist daher Aufgabe des Staates, in erster Linie sozialpolitische und fürsorgerische Mittel zur Sicherung des werdenden Lebens einzusetzen. Was hier geschehen kann und wie die Hilfsmaßnahmen im einzelnen auszugestalten sind, bleibt weithin dem Gesetzgeber überlassen und entzieht sich im allgemeinen verfassungsgerichtlicher Beurteilung.

1975 kam die Mehrheit der Bundesverfassungsrichterinnen zu dem Schluss, dass die Strafdrohung bleiben müsse. Wer sich die Mühe macht, das Urteil zu lesen, merkt jedoch, wie schwer sich die Bundesverfassungsrichterinnen taten.

Minderheitenvotum: „zweifelhafte Eignung der Strafsanktionen für den Lebensschutz“

Zudem waren sich die Richterinnen keineswegs einig. Weder im Ergebnis noch in der Begründung. Die zwei überstimmten Verfassungsrichterinnen, Richterin Wiltraud Rupp von Brünneck und Richter Dr. Simon, schrieben in ihrem Minderheitsvotum die bemerkenswerten Sätze:

„Die Eignung von Strafsanktionen für den beabsichtigten Lebensschutz erscheint jedoch von vornherein als zweifelhaft.“

Und weiter: „Die Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch wird „in Tiefen der Persönlichkeit getroffen, in die der Appell des Strafgesetzes nicht eindringt“

Mit dieser Aussage sagten sie nichts anderes als: Selbst wenn der Staat eine Schutzpflicht gegenüber dem ungeborenen Leben hat, muss er diesen Schutz nicht mit einem Strafgesetz versuchen zu erreichen. Strafgesetze sind nicht wirklich gut geeignet.

Hochkarätige Rechtswissenschaftlerinnen schlossen sich ihnen an. Der renommierte Strafrechtsprofessor Claus Roxin vertrat die Ansicht, ein wirkungsvoller Schutz könne auch durch sozialpolitische Maßnahmen gewährleistet werden. Daher dürfe sich der Gesetzgeber sowohl für eine Beratungs- und Fristenlösung wie auch für einen Indikationenlösung entscheiden.

Im Jahr 2018 wäre es Zeit, die letzten Nazivorschriften zu beseitigen und die reproduktiven Rechte von Mann und Frau zu stärken. Das Bundesverfassungsgericht könnte dabei helfen.

Auf der Basis dieses Minderheitsvotums und der gesamten Urteilsbegründung könnte ein neues Urteil zu den §§ 218 ff. StGB fallen. Genau genommen ist die Zeit reif dafür. Und möglicherweise führt die Klage der Frauenärztin Kristina Hänel durch die Instanzen ja auch ein solches Urteil herbei. Wenn schon 1975 umstritten war, ob es nötig und sinnvoll ist, Abtreibung unter Strafe zu stellen, könnte dies heutzutage vom Bundesverfassungsgericht endgültig verneint werden. Frauen, die schwanger sind, brauchen kein Strafrecht, um sie daran zu erinnern.

Aber es braucht gute Verfassungsrichter und Verfassungsrichterinnen, die eine solche Entscheidung treffen.

Warum Dr. Stephan Harbath dafür nicht der richtige Mann sein könnte, lesen Sie hier.

 

* Ich schrieb im letzten Blogbeitrag, dass ich hier künftig nur noch die weibliche Form verwenden würde, Männer aber bis auf Weiteres selbstverständlich mitgemeint seien.

 

Kategorie: Aktuelles, Politik, Recht Stichworte: #219a, Abtreibung, Anwälte, Rechtsanwalt, Reproduktive Rechte

§ 219a StGB: Das Recht auf Information und seine kommunikative Verteidigung

25. November 2017 von Eva Engelken 3 Kommentare

Protestfoto gegen das Urteil wg. § 219a StGBFrauen, die ihr Recht auf reproduktive Selbstbestimmung und Information für selbstverständlich halten, sollten protestieren, denn das Gießener Urteil zum § 219a StGB zeigt, dass es bedroht ist. Aber Vorsicht, denn mit bestimmten Frames spielt man den Abtreibungsgegnern in die Hände.

Warum ist das reproduktive Selbstbestimmungsrecht der Frauen in Gefahr?

Weil am 24. November eine Vorschrift im Strafgesetzbuch, die lange Jahre ein Schattendasein fristete, wieder einmal erfolgreich instrumentalisiert wurde, um das Frauenrecht, sich über eine erlaubte Abtreibung zu informieren, und das entsprechende ärztliche Berufsausübungsrecht einzuschränken. Aufgrund von § 219a StGB, der „Werbung“ für den „Schwangerschaftsabbruch“ unter Strafe stellt, ist die Gießener Ärztin Kristina Hänel am 24.11. zu 40 Tagessätzen à 150 Euro verurteilt worden. Weil sie auf ihrer Uralthomepage   darüber informiert, dass sie die erlaubte ärztliche Leistung „Schwangerschaftsabbruch“ anbietet, ging das Gericht von strafbarer Werbung aus. Dabei gibt es bei Kristina Hänel definitiv nichts, was Marketingfachleute als „Werbung“ ansehen würden: keine Hochglanzbroschüren oder eine moderne Website, die in zielgruppengenau formulierten Messages den Kundennutzen einer entsprechenden Dienstleistung kommuniziert würden. Alles, was die wirklich modernisierungsbedürftige Homepage aufweist, ist ein Link namens „Schwangerschaftsabbruch“, der zu einem Kontaktformular führt, über das man weitere Informationen anfordern kann.

Proteste gegen den § 219a StGB als „vorgestriger Paragraf“

Verständlicherweise und glücklicherweise wollen die Ärztin und ihre Verteidigerin Prof. Dr. Monika Frommel das Urteil nicht hinnehmen und das Recht auf Informationsfreiheit bis zum Bundesverfassungsgericht durchfechten. Es würde sie in ihrer Berufsausübung einschränken, wenn sie auf ihre ärztliche Dienstleistung nicht hinweisen dürfte, sagt die Ärztin und weist darauf hin, dass Frauen, die in der schwierigen Lage sind, sich gegen eine Schwangerschaft entscheiden zu müssen, zuverlässige Informationen brauchen, wo sie einen Abbruch sicher und schonend durchführen lassen können. Schon im Vorfeld der Verhandlung hat Kristina Hänel über die Organisation Change.org. eine Petition gestartet – Stand Freitag 24.11. 121.000 Unterschriften -, mit der sie die Abschaffung des § 219a StGB fordert. Zahlreiche Kommentator*innen in den sozialen und traditionellen Medien fordern nun, den § 218 StGB gleich mitabzuschaffen. Nicht wenige von ihnen sehen das reproduktive Recht der Frauen in Gefahr, also das Recht von Frauen und ihren Familien, selber über Fortpflanzung, Verhütung  und eben auch Abtreibungen selber entscheiden zu dürfen bzw. sich entsprechend zu informieren. Die Kommentare der Gegner*innen zeigen, dass es nötig ist, die Debatte um die Abschaffung der §§ 218 ff. und die damit verbundenen Bevormundungen von Frauen endlich wieder zu führen.

Mit welchen rhetorischen Waffen kämpfen die Agitatoren gegen die Ärztin?

Warum erstattet im Jahre 2017 ein dubioser Verein Anzeige gegen eine Allgemeinärztin und schafft es, eine Richterin dazu zu bringen, diese Ärztin aufgrund eines Paragrafen zu verurteilen, der aus der Nazizeit stammt? Weil der Paragraf einschlägig ist? Warum ist er noch nicht abgeschafft? Warum wagen sich unverhohlen frauenhassende Wesen aus der Deckung und beschimpfen abtreibende Frauen und ihre Ärzt*innen? Welche Narrative spielen dabei eine Rolle beziehungsweise welche rhetorischen Mittel setzen die Anti-Abtreibungs-Agitatoren offenbar so erfolgreich ein, dass mittlerweile schon junge Frauen verunsichert sind, ob sie im Falle des Falles überhaupt abtreiben dürften?

Frames bestimmen die Gedanken, nicht die Fakten

Rhetorische Mittel dienen immer dazu, das Bewusstsein zu verändern. Der Schlüsselbegriff heißt Framing. Hier lohnt ein Blick in das Buch von Elisabeth Wehling „Politisches Framing“ , in dem sie die Wirkung von Frames erläutert:

„Jedes Wort, das wir hören, aktiviert in unserem Kopf bestimmte Frames, bei jedem Wort, das wir lesen oder hören, wird eine Reihe von Konzepten aufgrund unserer Welterfahrung mit mobilisiert.“

Eine befruchtete Eizelle garantiert noch keinen dicken Bauch, auch wenn Begriffe dies nahelegen

Bei dem Wort „Schwangerschaftsabbruch“ schwingt Wehling zufolge mit, dass eine Schwangerschaft vorhanden ist. Das Wort Schwangerschaft seinerseits impliziert, dass die Frau ein Kind im Bauch hat. Der Frame von der Schwangerschaft blendet völlig aus, dass eine erlaubte Abtreibung zu einem Zeitpunkt stattfindet, wo definitiv noch kein ausgewachsenes Baby im Bauch ist, sondern dass ein Zellverbund oder Embryo ausgeschabt wird, der außerhalb des Uterus nicht lebensfähig ist. Stattdessen hebt das Wort gedanklich das ungeborene Kind hervor. Bei der Erwähnung eines Abbruchs der Schwangerschaft ist der Gedanke daher nicht weit, dass man einem Kind die zwangsläufig bevorstehende Geburt verweigert. Das wiederum aktiviert den Gedanken an eine Kindstötung oder gar einen Mord. Ausgeblendet ist auch, dass die erlaubte Abtreibung in einem Zeitrahmen stattfindet, in dem die Frau noch gar nicht sicher sein kann, dass die befruchtete Eizelle überhaupt in ihrem Körper bleibt und nicht von sich aus abgeht. Das ist ja auch der Grund, warum viele Eltern erst einmal die ersten 12 Wochen abwarten, bevor sie eine Schwangerschaft bekannt geben: Weil sie noch gar nicht wissen können, ob es überhaupt zu einer dauerhaften Schwangerschaft kommt bzw. ob die Schwangerschaft Bestand hat.

Abtreibungsgegner beschwören Kindstötung oder Mord

Der Mechanismus der Frames ist den Abtreibungsgegnern sonnenklar, und genau mit den eben beschriebenen Frames arbeiten die Agitatoren aus Kirche, Wissenschaft und Politik. Bei der AfD etwa geben sich christliche Fundamentalisten mit neonazistisch verwurzelten Juristen die Klinke in die Hand. Sie wiederholen wieder und wieder, dass jede Abtreibung eine „Kindstötung“ sei, belegen das irreführenden Fotos und prägen ihren Leser*innen auf diese Weise ein, dass ein Abtreibungsverbot Tötungen verhindern und Leben schützen würde. Ihre Propagandamittel sind entsprechende Frames aktivierende Bezeichnungen wie „Marsch für das Leben“ oder „Lebensschützer“ oder wissenschaftliche Veröffentlichungen von Juristen, etwa von der „Juristenvereinigung Lebensrecht e.V.“.

Elisabeth Wehling: Frames aktiviert man auch, wenn man sie verneint

Um das Gedankengut dieser unangenehmen Zeitgenossen gerade nicht zu propagieren, empfiehlt Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling, erst gar nicht erst den fatalen Frame der Kindstötung zu aktivieren. Dies tut man, in dem man den Begriff Schwangerschaftsabbruch einfach nicht verwendet, sich also nicht auf die Frame-Semantik eines erwarteten Kindes einlässt. Übrigens sei es auch nicht hilfreich, diesen Frame zu verneinen, denn auch das aktiviert ihn. Eine Aufforderung wie „Denk nicht an einen rosa Elefanten“ bewirkt zuverlässig, dass die aufgeforderte Person sich einen rosa Dickhäuter ausmalt. Die Aussage „Schwangerschaftsabbruch ist keine Kindstötung“ aktiviert den Frame der Kindstötung.

Alternative Frames bilden: Ein Nichteingriff innerhalb von 12 Wochen nach Konzeption ist die Entscheidung zu einer Schwangerschaft

Möglich sei es beispielsweise, sich darauf zu verständigen, dass eine Schwangerschaft erst beginnt, wenn die Mutter sich mit Ablauf der gesetzlichen Frist von 12 für die Schwangerschaft entscheidet. Die Zeit ab Einnistung der befruchteten Eizelle und Ablauf der 12 Wochen wäre dann noch gar keine Schwangerschaft. Es hieße dann nicht:

Die Schwangerschaft wird abgebrochen. Sondern: „Ein Nicht-Eingriff innerhalb von 12 Wochen nach Konzeption ist die Entscheidung zu einer Schwangerschaft.“

Der zweite Frame fragt laut Wehling:

„Wollen wir eine Schwangerschaft beginnen?“

Frauen könnten dann sagen: „Ich habe mich dagegen entschieden, eine Schwangerschaft zu beginnen, weil…“

Jurist*innen sprechen wohlweislich von der Leibesfrucht und der Zweiheit in Einheit

Befindet sich Sprachwissenschaftlerin Wehling auf dünnem Eis, wenn sie statt von einem „Kind“ von einer Zellansammlung spricht?“ Ganz und gar nicht. Selbst Juristen und Juristinnen sind sich keinesfalls einig, ob ein Fötus bereits ein Mensch im rechtlichen Sinne sei, oder ab wann die befruchtete Eizelle zu einem Menschen wird. Die Verfassungsrichter selber sprechen von der „Frucht“ oder dem „Embryo“ und von der „zunehmenden Entwicklung des Fetus zum selbstständigen Leben“. Der lateinische Begriff Nasciturus, auf deutsch „der zu geboren werdende“ ist ebenfalls eine Bezeichnung, die im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft verwendet wird.

Warum berufen sich die fanatischen Abtreibungsgegner auf das Bundesverfassungsgericht?

Warum begründen die Abtreibungsfanatiker ihren angeblichen Feldzug zum Schutz des Lebens mit dem Bundesverfassungsgericht? Zwar spricht das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit dem Nasciturus nicht von „Kindstötung“ – zum Glück. Aber es hat schon zweimal in der Geschichte der Bundesrepublik entschieden, dass der Nasciturus ein eigenständiges Rechtsgut sei, das auch gegen die Schwangere selber geschützt werden müsse.

Professorin Dr. Ulrike Lembke hat die fatalen Folgen dieser Rechtsprechung und warum § 219a StGB abgeschafft gehört, in der Legal Tribune Online erläutert: Das BVerfG hat „1975 die Figur der staatlichen Schutzpflicht entwickelt“. Sie bedeutet, dass Bürgerinnen und Bürger nicht nur gegen Freiheitsbeschränkungen durch den Staat geschützt werden müssen, sondern auch vor Rechtsverletzungen durch andere Private. Aus dem verfassungsrechtlichen Zweierverhältnis von Staat und Privatperson ist ein Dreieck aus Staat und mehreren Privatpersonen geworden, so Lembke.

Man bestraft ja auch nicht den Backofen, weil er den Teig nicht zu Brot bäckt

Es ist ähnlich verrückt, eine rechtliche Kriegsfront Leibesfrucht contra Schwangere aufzuziehen, als würde man einen Backofen wegen Mordes bestrafen, nur weil er einen Teig nicht zu einem Brot gebacken hat. Genau diese spezielle Verbindung zwischen potenziellem Opfer und potenzieller Straftäterin liegt auch bei einer Schwangerschaft vor. Das macht die § 218-Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts auch so problematisch. So schreibt Lembke: „Ungünstig ist nur, dass die Figur des Dreiecks so gar nicht auf Staat, Schwangere und Fetus passt, weil letztere eine „Zweiheit in Einheit“ (so das BVerfG selbst) bilden und nicht zwei getrennte Enden einer geometrischen Figur.“

„In den beiden Entscheidungen hat das BVerfG 1975 (Urt. v. 25.02.1975, Az. 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – Schwangerschaftsabbruch I) und 1993 (BVerfG, Urt. v. 28.05.1993, AZ. 2 BvF 2/90 und 4,5/92 – Schwangerschaftsabbruch II) diesen zentralen Aspekt verkannt und im Wesentlichen entschieden: Der Embryo/Fetus stellt ein selbständiges Rechtsgut dar. Er ist vom Staat auch mit den Mitteln des Strafrechts auch gegenüber der Schwangeren zu schützen. Und jede (auch ungewollt) schwangere Frau hat von Verfassungs wegen die Pflicht, einen Fetus auszutragen. Da dessen Lebensrecht stets Vorrang hat, ist der Schwangerschaftsabbruch immer rechtswidrig. Nur ausnahmsweise können Frauen straflos bleiben.“

Eine Abtreibung unter Strafe zu stellen, wird der Sache nicht gerecht. Das haben bei beiden Urteilen zum § 218 auch einige der Richter und Richterinnen so gesehen und eine abweichende Meinung in einem Sondervotum vertreten. Einer ihrer Vorschläge war, die verfassungsgerichtliche Schutzpflicht für den Fetus nicht durch Strafe zu erfüllen, sondern durch eine andere Lösung, z.B. mit einer Fristenlösung, die besagt, dass eine Abtreibung in den ersten drei Monaten nach Empfängnis überhaupt keine Straftat ist.

Lembke zum Sondervotum 1975:

Richterin Wiltraut Rupp-von Brünneck und Richter Helmut Simon wiesen 1975 auf die Singularität der Schwangerschaft hin, bei der Schwangere und Fetus eine „Zweiheit in Einheit“ bildeten. Der Schwangeren werde nicht nur abverlangt, eine Tötungshandlung zu unterlassen, sondern sie solle auch das Heranwachsen der Leibesfrucht in ihrem Körper dulden und später jahrelang mütterliche Verantwortung übernehmen. Dieser ganz besonderen Konstellation werde gerade die Fristenregelung gerecht, die einen abgestuften Schutz des Fetus mit dessen zunehmender Entwicklung zum selbstständigen Leben anerkenne.

Auch bei der Entscheidung 1993 plädierte das Sondervotum für eine Fristenregelung und begründete das mit der Rechtsposition der Schwangeren und der Situation einer Schwangerschaft: Lembke:

Die Richter Bertold Sommer und Ernst Gottfried Mahrenholz wiesen in ihrem Sondervotum 1993 darauf hin, dass es stets Frauen seien, welche die Konsequenzen zu tragen hätten, wenn Sexualität und Kinderwunsch wie so oft nicht übereinstimmten. Die Mehrheit verkenne hier die Rechtsposition der Schwangeren. Die Kollision der Würde des Embryos und der Würde der Schwangeren in der „Zweiheit in Einheit“ müsse verhältnismäßig aufgelöst werden. Deshalb habe in der Frühphase der Schwangerschaft die Frau das Letztentscheidungsrecht, wenn sie zuvor eine Beratung aufgesucht hat.

Strafrechtler Roxin: § 218 ist entbehrlich, sozialpolitische Maßnahmen seien wirkungsvoller als Strafe

Auch der namhafte Strafrechtler Claus Roxin vertrat oder vertritt die Ansicht, dass ein wirkungsvoller Schutz anstatt durch Strafe auch durch sozialpolitische Maßnahmen gewährleistet werden kann. Das heißt, dass eine Strafbarkeit gemäß § 218 für die Abtreibung selber entfallen kann, was auch eine Strafbarkeit der „Werbung“ gemäß § 219a StGB entbehrlich machen würde. Seine Ansicht wird von Statistiken über Abtreibungen gestützt. Zudem hilft eine sachgerecht durchgeführte Abtreibung Frauen gesund zu bleiben. Ohne die Möglichkeit, die Schwangerschaft sicher in einem Krankenhaus zu beenden, ist die Gefahr hingegen groß, qualvoll an den Folgen stümperhaft ausgeführter Abtreibungen zu sterben oder lebenslänglich an den Verletzungen zu leiden.

Neuer Frame: Reproduktive Freiheit der Frau statt Zwang zur Mutterschaft

Der Frame der von Abtreibungsgegnern beschworenen Kindstötung reduziert das Thema „Abtreibung“ auf die zu schützenden Leibesfrucht und blendet die genannten Belange der Frauen völlig aus. Er blendet auch aus, dass das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung der sicherste Weg ist, dass Frauen gar nicht erst abtreiben. Wenn Frauen die Verhütung und Familienplanung verantwortungsvoll selber in die Hand nehmen könnten, würde die Zahl der Abtreibungen sinken. Dies belegt das Beispiel Kanada, wo die Abtreibung seit 1988 völlig restriktionslos möglich ist. Ein neuer Frame, den Frauen und Männer in der jetzt wieder aufflammenden dringend gebotenen Debatte um die §§ 218 ff. StGB einbringen könnten, sollten diese Gedanken aufgreifen: Nämlich, dass die reproduktive Freiheit den Frauen und ihren schon geborenen Kindern hilft, dass sie die Zahl gefährlicher Abtreibungen senkt und somit Mütter gesund erhält. Dass ein Zwang zur Mutterschaft hingegen das Leben und die Gesundheit von Frauen gefährdet und in der Folge das Leben ihrer schon geborenen Kinder.

Was also tun? Intelligent protestieren und neue Frames einführen

  • In der Debatte das Recht auf reproduktive Freiheit der Frauen und ihrer Familien propagieren. Dieses Recht schließt das Recht auf Verhütung, auf Informationen zu Schwangerschaft und Abtreibung ein und das Recht, eine ungewollte Schwangerschaften nicht auszutragen, sondern von Ärzt*innen sicher beenden zu lassen.
  • Im Hinblick auf eine Abtreibung ruhig den juristischen Begriff von der Leibesfrucht benutzen oder den lateinischen Begriff des Nasciturus. Beide Begriffe tragen auch der von Juristen angerkannten Tatsache Rechnung, dass sich das Wunder Mensch eben erst so nach im Bauch einer Frau entfaltet. Auf die Rechtsprechung des BVerfG von der „Zweiheit in Einheit“ hinweisen.
  • Nicht den Abtreibungsgegnern in die Hände spielen, indem man ihre Argumente wiederholt und ihre Frames aktiviert. Dran denken: Auch Frames, die man verneint, prägen den Frame im Kopf ein. Wer sagt: „Das ist keine Kindstötung“, brennt den Gedanken ein, dass eine Abtreibung genau eine Kindstötung sei, in den Köpfen der Zuhörer oder Leser ein.
  • Notfalls lieber noch von Abtreibung statt von Schwangerschaftsabbruch reden.
  • Sich der Petition zur Abschaffung des § 219a StGB anschließen. Hier geht’s zur Petition.

Nachtrag: Die Forderung in der Presse:

Der Deutsche Juristinnenbund und der Deutsche Ärztinnenbund fordert ebenfalls die Abschaffung von §219 StGB. https://www.djb.de/Kom-u-AS/K3/pm17-42/

Hier ist ein Video von Teen Vogue, das man theoretisch als „Werbung“ bezeichnen könnte, aber alle Anforderungen an eine gute Aufklärung und Information erfüllt:

https://www.teenvogue.com/story/planned-parenthood-videos-explain-abortion?mbid=social_facebook

 

Kategorie: Aktuelles, Recht Stichworte: #Kristinahaenel, Abtreibung, Framing, Kommunikation, Kommunikationsinstrument, Strategie

Die perfide Kommunikation der juristischen „Lebensschützer“ und Abtreibungsgegner

4. November 2016 von Eva Engelken 1 Kommentar

braune-sosse[one-fourth-first][/one-fourth-first][one-fourth][/one-fourth][one-fourth][/one-fourth][one-fourth][/one-fourth][one-fourth-first][/one-fourth-first][one-fourth][/one-fourth][one-fourth][/one-fourth][one-fourth][/one-fourth]Im Polen gelang es vor wenigen Wochen knapp, eine Initiative abzuwehren, die das ohnehin strenge polnische Abtreibungsrecht praktisch in ein völliges Abtreibungsverbot verwandelt hätte. Davon ist das deutsche Recht mit seiner Beratungslösung ziemlich weit entfernt, doch eine konservative Strömung namens „Lebensschutzbewegung“ bemüht sich auch hierzulande um eine immer stärkere Ächtung von Abtreibungen. Man könnte die selbsternannten „Lebensschützer“ als Spinner belächeln, hätten sie nicht kommunikativ kompetente Fürsprecher aus Kirche, Adel, Ärzteschaft – und Rechtswissenschaft hinter sich. Die Dachorganisationen ist der Bundesverband Lebensrecht, der jährlich den sogenannten Marsch für das Leben organisiert. Die Juristen organisieren sich in der 1984 gegründeten Juristen-Vereinigung Lebensrecht e.V. in Köln.

Juristen-Vereinigung Lebensrecht e.V. : Das konservative Who is Who der deutschen Rechtswissenschaft

Man könnte den Kölner Verein als verstaubte Männerrunde vernachlässigen, läsen sich ihre Namen nicht wie das Who is Who der deutschen Rechtswissenschaft und prägten sie nicht seit Jahrzehnten Rechtsetzung, Rechtsprechung und einflussreiche Kommentare. Nun muss man angesichts des hohen Alters einiger Beteiligter allmählich fast schon von einem Who was Who sprechen. Zwei der Gründungsmitglieder, die Juraprofessoren Karl Lackner und Adolf Laufs, starben 2011 bzw. 2014. Die zwei noch lebenden Gründer, Professor Dr. Wolfgang Rüfner und Prof. Dr. Herbert Tröndle, gehen auf die 90 bzw. 100 zu. Auch etliche weitere Herausgeber der vereinseigenen Zeitschrift „Lebensrecht“ sind hoch in den Siebzigern. Geht es also um eine Rollatorfraktion, die sich in Kürze durch Zeitablauf erledigen wird? Das anzunehmen wäre leichtsinnig. Das Gedankengut der juristischen Lebensschützer hat sich der öffentlichen Meinung bemächtigt und junge Juraprofessoren stehen bereit, es weiter zu tragen. Die Wurzeln der Juristen-Vereinigung Lebensrecht reichen bis ins Dritte Reich zurück, aktuelle Verbindungen bestehen zur katholischen Kirche, zum Adel und zur politischen Rechten. Das macht sie zu einer Gefahr für eine liberale, demokratische und gleichberechtigte Gesellschaft.

Die juristischen Argumente der Lebensschützer und ihre eigentlichen Ziele

Die Lebensschützer lehnen die Abtreibung und das geltende Abtreibungsrecht ab. Fast 100 Prozent aller in Deutschland gemeldeten Schwangerschaftsabbrüche erfolgten aufgrund der Beratungsregelung. Von insgesamt 99.237 Abtreibungen 2015 in Deutschland waren 95.338 straffrei nach der Beratungsregelung in § 218 a Absatz 1 Strafgesetzbuch:

„Der Tatbestand des § 218 ist nicht verwirklicht, wenn die Schwangere den Schwangerschaftsabbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung nach § 219 Abs. 2 Satz 2 nachgewiesen hat, daß sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen.“

Die restlichen vier Prozent der Schwangerschaftsabbrüche erfolgten aufgrund einer medizinischen Indikation (3879 Abbrüche 2015) oder aufgrund einer kriminologischen Indikation (20 Abtreibungen 2015). Hier liegt zwar der Tatbestand der strafbaren Abtreibung vor, die Indikation beseitigt jedoch die Rechtswidrigkeit. Vom Ergebnis läuft es für die schwangere Frau auf das Gleiche hinaus.

Bundesverfassungsgericht, ja, aber!

Vordergründig argumentieren die „Lebensschützer“ mit dem Schutz des Lebens des „ungeborenen Kindes“. Kommunikativ propagieren sie damit ein unterstützenswertes Ziel: Welcher verantwortungsvolle Mensch wäre nicht bereit, etwas so Niedlichem und Schutzlosen wie einen Baby – oder gar einem ungeborenen Baby – Schutz zuzusprechen? Doch wenn man genauer hinschaut, entdeckt man eine perfide Einseitigkeit in der Argumentation. Den juristischen Lebensschützer geht es darum, das „ungeborene Leben der Verfügungsgewalt der Schwangeren zu entziehen“. Juristisch ist es das Ziel, „dem Grundrechtsschutz des ungeborenen Lebens den Vorrang gegenüber dem Selbstbestimmungsrecht der Frau zu sichern“. Es ginge nicht an, so Strafrechtskommentator Herbert Tröndle, das „Leben des ungeborenen Kindes allein in die Verfügungsgewalt der Schwangeren zu stellen.“ Embryo gegen Schwangere. Kind gegen Frau. [Weiterlesen…]

Kategorie: Aktuelles, Kanzleikommunikation, Klartext schreiben Stichworte: Abtreibung, Kommentare, Kommunikation, Literatur, Professor

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