Gudrun Happich, die Gründerin des Galileo Instituts für Human Excellence, lernte ich kennen, als sie 2011 ihr Buch „Ärmel hoch“ veröffentlichte. 2014 hat die Kölner Unternehmensberaterin das zweite Buch „Was wirklich zählt!“ herausgebracht. In beiden geht es um ihren Beratungsansatz der bioSystemik®, welcher biologische Phänomene heranzieht, um Prozesse in Unternehmen zu verstehen. Da Anwaltskanzleien faszinierende Organismen und starkem evolutionären Druck ausgesetzt sind, habe ich Gudrun Happich zur idealen Führungsstruktur und zum Recruiting in Kanzleien befragt.
Klartext Anwalt: Frau Happich, traditionell sind Kanzleien als Partnerschaftsmodell organisiert. Die jungen Anwälte arbeiten bis zum Umfallen mit der Aussicht, irgendwann Partner zu werden. Die Alten streichen umso mehr Gewinn ein, je mehr die Mannschaft buckelt. Ist das noch zeitgemäß?
Happich: Früher funktionierte das. Doch in Kanzleien, wo die Alten immer weniger Junioren zu Partnern werden lassen – wie das ja seit einigen Jahren in großen Kanzleien der Fall ist –, wird das Buckeln eher unattraktiv. Hinzu kommt: Die Jungen wollen gar nicht mehr um jeden Preis Partner oder Partnerin werden. Das ist nicht anders bei Zahnärzten. Auch da stellt mancher alte Zahnarzt verwundert fest: Die Jungen wollen sich einfach nicht mehr totarbeiten. Und die Verantwortung der Selbständigkeit erscheint vielen auch nicht mehr attraktiv.
Klartext Anwalt: Die Jungen kündigen den Generationenvertrag auf?
Happich: Mehr oder weniger. Vielen jungen Anwälten oder Anwältinnen sind die interessante Arbeit oder auch Work-Life-Balance wichtiger als die vage Aussicht auf den Partnerstatus. Abgesehen davon haben einige gar nicht das Zeug dazu, Partner zu werden.
Klartext Anwalt: Das heißt, sie sind froh und glücklich als Angestellte und würden das auch gerne bleiben?
Happich: Ganz richtig. Sie sind gute Juristen beziehungsweise Juristinnen. Aber sie können und wollen die hohe Verantwortung nicht tragen. Sie haben Spaß an der Juristerei, engagieren sich in der Sache, wollen eine gute Bezahlung, aber nicht die Partnerschaft. Auf der anderen Seite gibt es die, die gut darin sind, die Organisation zu machen. Ein erfolgreiches Unternehmen braucht immer beide.
Klartext Anwalt: Die klassische Führungsstruktur einer Kanzlei spiegelt das aber nicht wieder. In der Partnerversammlung, dem obersten Führungsgremium, haben diejenigen Partner das Sagen, die fachlich am besten sind und die größten Mandate heranschleppen. Eine Fehlkonstruktion?
Happich: Es hat lange Zeit gut funktioniert, aber damals waren eben die Rahmenbedingungen auch anders. Ich würde also eher sagen: es ist nicht mehr zeitgemäß. In der Evolution gibt es ein Grundgesetz für Erfolg: Derjenige, der am besten über seine Kernkompetenzen und Stärken Bescheid weiß, diese einsetzt und sich an die permanent sich ändernden Rahmenbedingungen/Umfeldbedingungen anpasst, der wird überleben, sprich, das Rennen machen.
Klartext Anwalt: Mittlerweile haben immer mehr Kanzleien moderne Support-Abteilungen: Human Ressources, Business Development, Marketing, IT, Finanzen und Office Management. Ist das schon ausreichend, um von einer modernen Management- und Unternehmensstruktur zu sprechen?
Happich: Tools alleine reichen nicht, um anders zu sein. Nur weil ich über die bestehende Post-Struktur modern schreibe, wird ja auch noch kein modernes Postunternehmen draus, oder? Es geht immer darum, was mache ich daraus? Und zu einer Struktur gehört immer auch eine Kultur – und die ist eine Frage der Einstellung und Haltung. Welche Geisteshaltung liegt vor? Wo ist das gemeinsame Ziel, eine verbindende Vision, die Sinn stiftet? Ist das geklärt, dann können diese Abteilungen wirkungsvoll sein, um die Ziele zu erreichen.
Klartext Anwalt: Kanzleien unterscheiden zwischen Berufsträgern einerseits und Nichtberufsträgern andererseits. Zu den Nichtberufsträgern gehören alle, vom IT-Mitarbeiter über die Sekretärin bis hin zur Personalleiterin. Das hat natürlich berufsständige Gründe. Wer keine Anwaltszulassung hat, darf in Deutschland keinen kostenpflichtigen Rechtsrat erteilen. Erschwert solch ein Berufsverständnis die Bildung von modernen Managementstrukturen?
Happich: Die Unterscheidung in Berufsträger und Nichtberufsträger gibt es ja auch bei anderen berufsständisch geregelten Berufen. Also bei Ärzten, Steuerberatern oder Wirtschaftsprüfern. Und sie hängt natürlich damit zusammen, dass die anwaltliche Beratungsleistung gewisse Kenntnisse erfordert. Trotzdem muss ein Umdenken stattfinden, dass nämlich die Berufsträger sich klar machen, dass sie nicht alleine die Kanzlei führen können. Solange jedoch die Meinung vorherrscht: Die einen sind wertiger und besser und die anderen weniger, ist es mit der Wertschätzung und dem respektvollen Umgang auf Augenhöhe schwer. Und ein Sklave engagiert sich nun mal nicht aus dem Inneren heraus bzw. aus tiefer Überzeugung für den Herrn.
Klartext Anwalt: Anwälte gehen davon aus, dass sie im Grunde alles viel besser könnten?
Happich: So ungefähr. Dabei wäre es utopisch anzunehmen, dass Anwälte und Anwältinnen auch sämtliche Aufgaben der sonstigen Kanzleimitarbeiter beherrschen könnten. Zwei juristische Staatsexamen sind kein Beleg für Management-Skills. Eine erfolgreiche Kanzlei zeichnet sich dadurch aus, dass in ihr die Qualitäten aller Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wertgeschätzt werden. Wertschätzung ist übrigens auch ein Faktor beim Recruiting.
Klartext Anwalt: Bisher setzen Kanzleien beim Recruiting vor allem auf den Faktor Geld. Speziell die Großkanzleien überbieten sich mit immer höheren Honoraren. Ein Irrweg?
Happich: Wer für Geld gekommen ist, geht auch für Geld. Die zahlreichen Kanzleiwechsler belegen die geringe innere Bindung der Partner an eine Kanzlei. Kanzleien, die ihre Fachkräfte stärker an sich binden wollen, dürfen nicht nur auf Geld und geldwerte Vorteile setzen. Erst recht, wenn die Partnerschaft keine realistische oder attraktive Option ist.
Klartext Anwalt: Wie sieht solche Wertschätzung konkret aus? Für die High Potenzials denken sich die Großkanzleien schon jetzt allerhand aus: Kanzleikindergarten, Support bei Einkäufen und privaten Erledigungen. Geht das in die richtige Richtung?
Happich: Nun, im Grunde geht es bei diesen Angeboten auch wieder um geldwerte Vorteile. Das ist schon ein guter Ansatz, reicht alleine aber nicht aus. Die bessere Frage ist doch: Lieber High Potential – was muss passieren – bei Dir und bei mir – das Du Dich bei uns wie zuhause fühlst und Deine volle Leidenschaft im Sinne des Unternehmens einbringst? Denn das ist die Voraussetzung für volle Leistung, für die der Arbeitgeber zahlen kann und will.
Das Ganze beruht auf einem Geben und Nehmen. Ein Unternehmen zahlt in der Regel gerne, wenn sich der Mitarbeiter von innen heraus engagiert. Ein Mitarbeiter legt sich in der Regel gerne ins Zeug, wenn er beim Unternehmen findet, was seinen inneren Werten und Lebensmotiven entspricht. Sprich, wenn mir die Arbeit Spaß macht, und ich dann auch noch mein Kind in den Kanzleikindergarten bringen kann beziehungsweise jemand anders meine Einkäufe erledigt, passt das gut zusammen.
Klartext Anwalt: Was muss sich beim Recruiting der anderen Mitarbeiter ändern?
Happich: Ich denke, es sollte immer mehr darum gehen: Was sind die Werte und Vorstellungen beim potenziellen Mitarbeiter? Passt das zu uns? Dann kann man den nächsten Schritt gehen und schauen: welche Qualifikation bringt der mit, und wo passt er/sie bei uns am besten? Sprich, erst die richtige Person, dann der richtige Platz oder die richtige Position. Person geht vor Qualifikation. Im Zweifelsfall kann man fehlendes Wissen noch nachsteuern. Aber wenn die Chemie beziehungsweise die Persönlichkeit nicht passt, dann kann man relativ wenig reparieren und auf lange Sicht auch mit keinem Geld der Welt wieder gerade rücken.
Klartext Anwalt: Wie sieht die Führungsstruktur einer modernen Kanzlei idealerweise aus? Wie kann man die Fachkräfte, die keine Managementqualitäten haben, da einbinden?
Happich: Das ist so pauschal mit zwei bis drei Sätzen nicht wirklich zu beantworten. Aber grundsätzlich kann man sich folgende Fragen stellen: Was ist unsere Vision? Wozu und wofür machen wir das eigentlich? Wer passt zu uns? Was und wen brauchen wir, um die Ziele zu erreichen? Welche Rahmenbedingungen gehören dazu? Welche Struktur passt dazu am besten? Sprich, die Struktur folgt dem Ziel, nicht umgekehrt.
Eine moderne Kanzlei kann noch mal ganz neu denken: Da gibt es eventuell die Spezialisten, die für Fachfragen die wichtigen Experten sind, die sogenannten Wissensarbeiter. Dann diejenigen, die einfach richtig gut führen können und schließlich die, die zeitweise Projekte gut handhaben können. Das alleine sind schon mal drei ausgewählte unterschiedliche Rollen mit unterschiedlichen Profilen. In einer modernen Kanzlei sind alle von gleichem Wert und Bedeutung.
Und diese Rollen können in einer modernen Kanzlei je nach Anforderung auch wechseln. Das Unternehmen Gore betreibt dieses sogenannte Amöben–Modell seit vielen Jahren und ist damit äußerst erfolgreich. Übrigens nicht nur von den Zahlen her, sondern auch von Arbeitgeberbewertung her.
Klartext Anwalt: Was für eine Person sollte der Geschäftsführer oder die Geschäftsführerin sein? Im traditionellen Modell ist das der Managing Partner respektive die Managing Partnerin? Von ihm oder ihr erwarten die anderen Partner hohe Umsätze aus der Mandatsarbeit und zugleich die Geschäftsleitung. Wenn ihre Legislaturperiode als Manager abgelaufen ist, müssen sie wieder in die Mandatsarbeit zurückfinden. Wer das nicht schafft, muss gehen. Was müsste sich ändern?
Happich: In meinem Buch „Ärmel hoch! – die 20 schwierigsten Führungsthemen und wie Top-Führungskräfte damit umgehen“ habe ich einen typischen Karriereweg im Unternehmen aufgezeichnet. Auf allen Ebenen geht es um Leistung, aber in jeder Ebene wird Leistung anders definiert. Bei der Rolle des Geschäftsführers zeigt sich die Leistung darin, dass er/sie sehr gut Beziehungen knüpfen kann, sowohl innerhalb als auch vor allen Dingen außerhalb des Unternehmens, Verhandlungen führen kann, dass er/sie gut Strategien entwickeln kann und ein hohes Maß an taktischem und politischem Kalkül zeigt. Auch ist er/sie in der Lage, andere zum Machen anzuleiten.
Im Grunde kann man sagen, während die anderen im Unternehmen arbeiten, arbeitet er am Unternehmen. Man kann sich das so vorstellen, dass er auf einem Berg steht und mit Weitblick in die Ferne schaut und immer wieder diese Perspektive einnimmt, einnehmen kann, während die anderen Rollen schauen, wie diese Visionen umzusetzen sind und das auch noch fachlich exzellent tun.
Vielen Dank für das Gespräch!
- Hier geht’s zur Website meiner Interviewpartnerin Gudrun Happich: http://www.galileo-institut.de/gudrun-happich.html.
- Und hier gibt’s demnächst (ungefähr ab Mitte Oktober) mehr zum Thema Anwälte zu lesen: „111 Gründe, Anwälte zu hassen“.
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