Das Thema Werte liegt auch in der Kanzleikommunikation im Trend. Woran glaube ich? Nach welchen Wertmaßstäben handele ich? Was sind die Kerneigenschaften oder eben Werte, die mich als Anwalt oder Anwältin oder als Kanzlei vom Wettbewerber abheben? Im Rechtsberatungsmarkt, wo immer mehr Wettbewerb herrscht, bemühen sich die Konkurrenten immer stärker, sich abzugrenzen. Ein Mittel dazu sind die Werte.
Welche Werte machen den Markenkern aus? Exzellenz, Leidenschaft und Teamgeist
Manche große Kanzleien versammeln sich gar zu eigenen Werte-Tagen, um die Kanzleimarke zu stärken. Abgeschottet und professionell moderiert brüten Partner und Marketingleute dort ihren Wertekanon aus. Am Ende des Tages haben sie meist glänzende Werte entdeckt wie Exzellenz, Teamgeist, Leidenschaft oder Mandantenfokus. Klar, niemand käme auf die Idee, festzustellen, dass die hervorstechende Kanzleieigenschaften Habgier, Pedanterie oder Verbissenheit sind. Nein, bei der Feststellung der eigenen Werte stellen sich auch Anwälte nur Güteklasse-A-Siegel aus.
Und welche Werte bestimmen in Wahrheit das Handeln?
Einige geben mit den neu definierten Werten dann einen Image-Flyer in Auftrag. Die anderen ertränken ihre Mitarbeiter in seitenlangen Werte-Abhandlungen, die meist keiner liest. Und steht ein Relaunch der Website an, lassen sie die Werte auch dort einstellen – schön illustriert mit Segeljachten oder Kletterern. Dabei belassen es die meisten Anwälte. Das ist schade, denn sie vertun damit die Chance, mit ihren Werten echte Wertschöpfung zu betreiben. Präziser: Sie versäumen es, genauer hinzugucken und so bleibt eine Lücke zwischen den Werten, die ihr Handeln tatsächlich bestimmen und den Werten, die sie außen kommunizieren.
Der Markenwert Teamgeist weht oft nur auf dem Papier
Greifen wir den oft definierten „Wert“ oder die „Kerneigenschaft“ Teamgeist heraus. Bei der Außendarstellung des Teamgeists klafft die erste Lücke zwischen Schein und Sein. Wie stellt man Teamgeist nach außen dar? Logischerweise, indem man das Team zeigt. Etwa in den Pitch-Unterlagen oder auf der Kanzleiwebsite. Doch schon hier zeigt sich, dass es mit echten Teamgeist in Kanzleien meist nicht weit her ist. Denn abgebildet werden unter dem Menüpunkt „Team“ meistens nur die Partner und Associates. Aber wo bleibt der Rest vom Team? Die Referendare? Und was mit den Nichtberufsträgern? Menschen ohne zweites juristisches Staatsexamen, den Wirtschaftsanwälten oder den Bibliothekaren? Und was ist mit all den netten Frau Landmessers, Beckers oder Möllers aus dem Vorzimmer? Von Letzteren hört man die freundliche Stimme am Telefon, aber man sieht sie nicht.
In der Welt der Anwälte gilt das Team aus dem Backoffice nicht viel
Dass sie alle nicht gezeigt werden, lässt darauf schließen, dass sich das Team für Anwälte auf sie selber, die Damen und Herren Berufsträger beschränkt. In ihrer Welt gibt es sie und rundherum niemanden.
Dabei kann eine Kanzlei ohne ein schlagkräftiges Team einpacken. Ohne ein echtes Team von guten Mitarbeitern kann kein Partner drei Bücher pro Jahr plus 10 Fachaufsätze publizieren. Ohne Office-Managerinnen gibt es nicht nur keinen Kaffee, sondern laufen auch alle Anrufe ins Leere und bleiben die Terminkalender der Herren und Damen Anwälte leer. Wenn es den Teamgeist tatsächlich gäbe, müsste man diese Teammitglieder auch zeigen. Gute Geister müssen nicht unsichtbar sein. Aber offensichtlich gibt es gar keinen Teamgeist. Mein Hausarzt hat das übrigens erkannt. Seine Website spiegelt den Stellenwert des Office-Managements wieder. Dort steht nämlich fett gedruckt auch seine Office-Frau – neben all den ärztlichen Spezialisten.
Bei Topkanzleien kocht offiziell nur der Chef, auch wenn Paralegals das Gemüse schnippeln
Noch schwerer als bei den Office-Mitarbeiterinnen tun sich Kanzleien, wenn es um ihre juristischen Zuarbeiter geht, die Wirtschaftsjuristen oder sogenannten Paralegals. Diese tauchen nicht nur nicht auf der Website auf, sondern werden auch sonst gerne verschwiegen. Dabei kommt keine Kanzlei mehr umhin, nachzudenken, wie sie gute Leistung zu marktfähigen Preisen einkaufen und verkaufen kann. Eine Lösung besteht in der Spezialisierung und Arbeitsteilung im eigenen Hause. Eine andere Lösung im Einsatz externer Anbieter durch so genanntes Legal Process Outsourcing.
Nur: Nach außen dringt von solcher Teamarbeit – nichts. Bei Topkanzleien kocht offiziell immer nur der Chef. Intern delegieren sie längst Arbeit an Paralegals in günstigeren Stadtquartieren. Denn erst die Teamarbeit macht die Bill wettbewerbsfähig. Nur nach außen mag man das nicht kundtun, welcher Teamgeist in einer Kanzlei weht.
Berufsständische Tradition erschwert echten Teamgeist
Eine Antwort mag in der berufsständischen Tradition liegen, die dem Anwaltsberuf anhaftet wie dem Arztberuf. Krankenschwestern sind und bleiben „Schwestern“, auch wenn sie so viele Jahre Erfahrung auf dem Buckel haben, dass sie den grünschnäbeligen Assistenzarzt zum Frühstück verspeisen könnten. Anwälte bleiben Anwälte. Zwar heben Wirtschaftsanwälte gerne ihr wirtschaftliches Verständnis hervor. Trotzdem meinen sie, dem Mandanten die Vorteile arbeitsteiliger Rechtsberatung verschweigen zu müssen.
Jeder Autohersteller, der eine Werksführung macht, zeigt stolz seine Fertigungsroboter, die die rohe Karosserie perfekt und zügig in ein Auto verwandeln. Sind Kanzleien auf ihre hauseigene Rechtsproduktion etwa weniger stolz? Warum zeigen sie dann die qualifizierten Assistenten und Assistentinnen, die die Berufsträger bei Routinetätigkeiten entlasten, nicht? Vermutlich müssen manche Kanzleien dafür überlegen, was sie mit „Teamgeist“ eigentlich meinen. Und ob sie vielleicht tatsächlich mal als Team zusammenarbeiten sollten.
Mandanten und Bewerber mögen Transparenz
Bei Mandanten und Mitarbeitern könnte Klarheit über die Werte gut ankommen. Und garantiert auch bei Bewerbern. Die heiß begehrten Renos, Rechtsanwaltsfachangestellten und immer mehr auch die Wirtschaftsjuristen heuern garantiert lieber in einer Kanzlei an, wo man sie auch offiziell wertschätzt und nicht totschweigt wie ein dunkles Familiengeheimnis. Letztlich kann der Teamgeist überall durchschimmern. Wenn man ihn zum Leben erweckt.
Die Langfassung dieses Beitrags ist im Jahrbuch 2013 Deutscher Anwaltsspiegel erschienen http://www.deutscheranwaltspiegel.de/