Die Corona-Krise mit ihren Reise-, Kontakt- und Veranstaltungsverboten zwingt viele Kreative finanziell in die Knie, weshalb sie Geld von der Gemeinschaft brauchen. Hier ein Appell mit 7 Gründen, warum die finanzielle Hilfe für Kreative und Künstler*innen großzügig, unbürokratisch und am besten in Form einer Grundsicherung geleistet werden sollte.
Liebe Ministerinnen und Minister, liebe Mitarbeitende in Behörden!
Ich bitte Sie, helfen Sie großzügig und unbürokratisch, am besten mit einer Grundsicherung, damit Künstlerinnen und Künstler die nächsten Monate gut über die Runden kommen! Alle, die kreativ tätig sind, sollten ihre kostbare Zeit damit verbringen, weiterhin Kunst zu erschaffen, anstatt dem Geld hinterherrennen zu müssen. Hier sind sieben Gründe, warum.
1. Abgesagte Events oder entgangene Honorare lassen sich schlecht nachweisen
Fordern Sie keine Nachweise über abgesagte Events oder entgangene Honorare. Erste Formulare, die ich gesehen haben, erforden die Angabe von Aufträgen, Auftragsbestätigungen mit Honorarsumme, Datum und offiziellen Absagen wegen Corona.
Solche Formulare helfen jetzt nicht weiter. Ein Freund von mir ist DJ für Tango-Argentino-Events. Viele seiner Buchungen laufen mündlich, per Handschlag oder Whatsapp. Oft ist gar nicht klar, wie viel Geld er überhaupt bekommt. Entsprechend kann er überhaupt nicht schriftlich belegen, welche Honorarsumme ihm entgangen ist, wenn das Event nicht stattfindet. Noch schwieriger wird es, einen hypothetischen Honorausfalle nachzuweisen, wenn ein Event wegen Corona gar nicht erst angeberaumt wird.
So wie ihm geht es ungezählten Menschen, die selbstständig und freiberuflich in künstlerischen oder kreativen Berufen arbeiten.
2. Haben Sie Vertrauen! Künstler*innen sind keine Buchhalter*innen
Bezahlen Sie Künstler*innen und allen antragstellenden Selbstständigen und Kleinunternehmer*innen aus kreativen Berufen auch ohne Nachweise Geld! Seien Sie absolut großzügig, was Nachweise oder Zahlen angeht!
Bedenken Sie, dass die Menschen, die Sie unterstützen, keine Buchhalter und Buchhalterinnen sind, denn sonst würden sie ja nicht Musik machen, zeichnen, schreiben oder singen, sondern ihr Geld damit verdienen, Belege abzuheften oder Rechnungen so fertig zu machen, das sie überprüft werden können.
Und nein, auch in Zeiten des Internets mutieren solche Mensche nicht zu perfekten BuchhalterInnen. Und auch das Vorhandensein elektronischer Buchhaltungssoftware führt nicht dazu, dass sie plötzlich zu Beleg-Junkies werden.
3. Kunst erfordert viel Vorbereitungszeit, ehe sie Geld bringt
Ein weiterer Grund, warum ich Sie darum bitte, in dieser Zeit großzügig finanziell zu unterstützen, ist der, dass alles Kreative und Künstlerische lange Zeit überhaupt kein Geld einbringt. Deshalb bin ich auch dafür, Kreativen und Kunstschaffenden noch mehr als anderen eine finanzielle Grundsicherung zu geben. Das wäre übrigens auch für die Zeit nach der aktuellen Corona-Krise zu überlegen.
Damit Kunst entsteht, die irgendwann einmal zu bezahlten Rechnungen, Geldeingängen und Honorareinnahmen führt, ist sehr viel Vorarbeit nötig. Damit ein Lebenswerk entsteht, das auf Auktionen viele Millionen erzielt und Museen, Kuratoren und Sammlern viel Geld einbringt, braucht es Jahre von unermüdlichem Schaffen. Und manchmal bringen die Werke erst nach dem Tod der Künstler Geld. Mozart, Stieg Larsson, Clara Schumann und andere sind Beispiele dafür.
Sie können dafür sorgen, dass die noch lebenden Künstler*innen von etwas leben können, noch bevor durch ihre Schaffen Geld fließt.
4. Jeder Picasso steht auf den Schultern von Millionen armer No Names
Von Picasso ist bekannt, dass er in Restaurants mit Schecks bezahlte beziehungsweise kurz vor dem Verlassen des Restaurants eine Skizze auf eine Serviette warf, um die Rechnung zu bezahlen. Als weltberühmter Künstler konnte er darauf vertrauen, dass der Verkauf einer seiner Skizzen dem Restaurantbesitzer genug Geld einbringen würde, um das Essen, seine Angestellten und die Miete zu bezahlen.
Das heißt aber nicht, dass die Kunst oder die Vorübungen anderer Künstler und Künstlerinnen nichts wert wären. Oft ist es doch purer Zufall, dass ein Werk, ein Buch, ein Remix irgendwann erfolgreich wird und Geld bringt. Genauso oft entsteht der geldbringende Einfall oder das finanziell erfolgreiche Kunstwerk überhaupt erst, weil der oder die Künstlerin sich hat inspirieren lassen. Von lustigen Memes im Internet, von Songs, die ihren Komponist*innen keinen lausigen Cent eingebracht haben.
Kunst ist etwas, zu der ganz viele kleine, mittelgroße und große Ameisen etwas beitragen, auch wenn sie von ihrem Tun niemals leben können, gar nicht einmal ein bisschen Geld erhalten. Jedes Geld bringende Werk steht auf den Schultern von abertausend Werken und Skizzen, die niemals monetarisiert wurden.
Wenn Sie dafür sorgen, dass dieses Tun auch in Zeiten von Corona getan werden kann, schaffen Sie große Werte.
5. Haben Sie Vertrauen, dass die Künstler*innen die Grundsicherung nicht missbrauchen werden
Sehen Sie davon ab, später Nachweise zu fordern. Kalkulieren Sie ein paar Ausfälle ein und berücksichtigen Sie, dass sich die Relation von Aufwand zu Wert bei Kunst verdammt schlecht messen lässt.
Kalkulieren Sie auch menschliche Ausfälle ein. Wenn Sie eine Art von Grundrente oder ein Grundeinkommen für Künstler*innen einrichten, wird es sicherlich den einen oder anderen geben, der sich mit dem Geld einen faulen Lenz machen wird.
Vielleicht entsteht aber gerade während dieses faulen Lenzes die Idee für den Millionenbestseller, der tausende von LeserInnen finden und einen ganzen Verlag finanzieren wird.
Vertrauen Sie im übrigen darauf, dass die meisten Menschen das Geld sinnvoll nutzen werden, um Kunst zu schaffen. Künstler oder Künstlerinnen arbeiten, weil etwas in ihnen schlummert, das heraus möchte. Und wenn Sie das finanzieren, kann es sich entwicklen.
Dass dieses Etwas heraus will, sehen Sie daran, dass sich so viele Menschen anstrengen, Kunst zu erzeugen, obwohl ihnen niemand garantieren kann, dass gerade sie den großen Bestseller herausbringen werden oder ihre Ausstellungen dereinst Millionen ins Museum locken werden.
6. Kunst ist überlebensnotwendig – auch für Buchhalter*innen
Noch ein Grund, warum Kunst jetzt so besonders gefördert werden sollte: Kunst ist in der Krise überlebensnotwendig. In all seinen Erscheinungsformen und Fertigungsstufen.
Auch die schon erwähnten Buchhalter*innen sind darauf angewiesen. Sie müssen Netflix konsumieren oder Songs über Spotify hören, damit sie über ihren Buchungsbelegen nicht durchdrehen. Und wenn sie Pause machen, müssen sie im Internet über all die lustigen kleinen Sprüche lachen können, die sich irgendwelche Kreativen ausgedacht haben, um mal abzuschalten. Das gilt für Buchhalter*innen genauso wie für alle anderen Mitglieder unserer Gesellschaft.
Von daher ist es nur Recht und billig, wenn die Gesellschaft dafür bezahlt, dass Menschen, die Kunst erschaffen, finanziell nicht vor die Hunde gehen. Ich würde sogar sagen, Menschen, die Kunst in all ihren Erscheinungsformen schaffen, haben das Recht, für ihr Schaffen von der Gemeinschaft getragen zu werden. In der Coronakrise und darüber hinaus.
7. Es geht um keine riesigen Summen. Oder doch, aber das ist es wert
Überlegen Sie mal kurz, wieviel Geld dem Staat jährlich durch Steuervermeidung verloren geht? Tausende von Euro? Oher eher Millionen oder Milliarden? Bei den betrügerischen Cum-Ex-Deals waren es in Deutschland rund 12 Milliarden Euro, um die die Staatskasse betrogen wurde. Angesichts solcher Summen sind hundert Millionen Euro Nothilfe für Kunstschaffende doch fast Peanuts, oder? Oder denken Sie an die Bankenkrise, die dem Zusammenbruch der Lehman-Bank 2008 folgte. Hier wurden Banken mit Milliarden Euro an Steuergeldern gerettet, weil sie systemrelevant waren.
Kunst ist mindestens so systemrelevant wie Banken. Ohne Kunst würden Menschen die Amok laufen. Jeder und jede konsumiert Kunst. Das sollte uns allen doch das Geld wert sein, oder?