Im heutigen Sprachtipp für Juristen geht es um die beliebte Satzeinleitung mit „es“, also um die umschreibende Ausdrucksweise.
Ludwig Reiners: „Schreiben Sie keinen flauen Stil! Vermeiden Sie es, den Ausdruck furchtsam durch Worte wie fast und wohl oder durch vermindernde und umschreibende Ausdrucksweise abzuschwächen.“
… sagte oder vielmehr schrieb Ludwig Reiners in seiner Stilfibel. Die Stilfibel ist eins der Bücher, die Juristen schon vor zwanzig Jahren empfohlen wurden, um damit ihre Sprache zu verbessern.
Und – hat es was genützt? Der Appell, die Klarheit ihrer Aussagen nicht durch eine umschreibende Ausdrucksweise abzumildern, ist bei den meisten Juristen verhallt.
Reiners: „Der Schaden ist groß: Das ist ein klarer Satz. Wer nicht den Mut hat, sich entschieden auszudrücken, schreibt stattdessen: Es wird mitgeteilt, dass mit der Entstehung eines nicht unbeträchtlichen Schadens zu rechnen sein dürfte.“
„Es wird mitgeteilt“, „Es ist davon auszugehen“, „In Anbetracht der gegebenen Umstände scheint ein Abwarten geboten zu sein“, „Es lässt sich so interpretieren“, „Es dürfte mit folgendem Ergebnis zu rechnen sein“ – immer, wenn Juristen Ross und Reiter nicht nennen wollen oder können, schieben sie das unpersönliche „Es“ vor. Das arme kleine „Es“ muss es ausbaden, wenn der Schreiber glaubt, keine klare Aussage machen zu können. Oft glaubt er nämlich nur, es nicht klar sagen zu können. Dabei geht das schon. Man muss nur wissen, wie.
Zweifel deutlich machen, Alternativen benennen, Mandanten das Leben erleichtern
Was kann man tun, um dem armen geplagten „Es“ ein bisschen Arbeit abzunehmen? Sich klar und präzise ausdrücken, Ross und Reiter nennen, Zweifel deutlich machen, Alternativen benennen. Den Mandanten oder den Leser einer rechtlichen Information freut es, wenn sein Rechtsanwalt oder seine Rechtsanwältin eine klare Ansage macht.
- Statt „Es wird mitgeteilt“ –>“Wir informieren Sie“.
- Statt „Es ist davon auszugehen“ –>“Wir gehen davon aus“, „Wir rechnen mit“, „Die Richter werden“ usw.
- Statt „In Anbetracht der gegebenen Umstände scheint ein Abwarten geboten zu sein“ –>“Wir empfehlen Ihnen, noch [zwei Wochen] abzuwarten und erst dann zu reagieren. Aus folgenden Gründen: 1….,2…., 3….“.
- Statt „Es lässt sich so interpretieren“ –>“Die Aussage X bedeutet Y“, „X meint entweder A oder B. Für A spricht…, für B spricht… Wir gehen davon aus, dass X A meint, aus folgenden Gründen: 1…., 2…, 3….“
- Statt „Es dürfte mit folgendem Ergebnis zu rechnen sein“ –> „Wir rechnen mit folgendem Verfahrensausgang (Option A): …, Alternativ mit Option B….. Option A bedeutet für Sie…, Option B bedeutet für Sie…“
Kurz gesagt: Auch Juristen und Juristinnen können nicht in die Glaskugel schauen und die Zukunft vorhersagen oder in die Köpfe anderer Leute hineinblicken. Wohl aber können sie kraft ihrer Intelligenz Wahrscheinlichkeiten vorhersagen und Konsequenzen benenennen und daraus Schlussfolgerungen ableiten.
Mehr Tipps in Klartext für Anwälte, in der Stilfibel von Ludwig Reiners und in den Klartext-Seminaren.
Jens meint
„Wir“ zu schreiben (statt „ich“) ist ja wohl das Gegenteil von „Ross und Reiter nennen“.
Eva Engelken meint
Ganz deiner Meinung, wenn es um die Aussage oder den Rat einer Einzelperson geht. Dann sollte diese Person von „ich“ und von „meiner Meinung“ sprechen und sich nicht hinter dem pluralis majestatis („unsere Majestät belieben zu denken“) mit ihrer Meinung verstecken. Aber wenn es um den Rat eines Teams oder einer Kanzlei geht (etwa auf einer Kanzleiwebsite), dann bezeichnet „wir“ schon Ross und Reiter.
John Doe meint
Gerade bei der Beratung eines Mandanten hinsichtlich Risiken und Erfolgsaussichten dürfte es häufig angezeigt sein, vorsichtig zu formulieren. Wenn ich schreibe „Die Richter werden“, statt „Es ist davon auszugehen“, und die Richter machen es doch anders, winkt die Haftungsfalle :)
Ralf meint
„dürfte es häufig angezeigt sein“ – soll eigentlich auch heißen: „sollte man bedenken…“ :D
Juristen untereinander würde sich ihre gegenseitige Achtung absprechen, wenn jeder schreiben würde wie das gemeine Volk. Juristen haben ihre eigene Termini – und das nicht erst seit gestern… Richter würden „klar“ sprechende Rechtsanwälte oder anderweitig Bevollmächtigte nicht mal ansatzweise ernst nehmen, wenn man nicht die erlernte Termini verwenden würde.. Gar nicht auszudenken, welche Konsequenzen das für die Mandantschaft hätte!!!!
Ebenso sprechen Polizeibedienstete ihr Sprache, Ärzte sowieso und tausend andere Berufsgruppen…
Belassen wir es dabei: WIR sprechen „juristisch“ – und andere dürfen gern ihre eigenen Sprachen sprechen – das sprechen wir niemandem ab… OK? ;)
Jutta Scherer meint
Ich sehe hier zwei Komponenten des „Problems“:
1) Fachtermini benutzen, die andere Juristen – Richter, gegnerische Anwälte – als „Code“ verstehen, und so von diesen als fachlich ebenbürtig (an)erkannt werden, und
2) so sprechen und schreiben, dass Zuhörende und Lesende problemlos folgen können.
Das eine muss das andere nicht ausschließen, meine ich. Beides gehört zur adressatengerechten Kommunikation. Man kann juristische Termini benutzen, wo im Fachdialog unerlässlich, und dabei einfache und verständliche Sätze bauen. Beispiel: Gespreizte Floskeln wie „in Anbetracht der gegebenen Umstände“ sind wohl kaum juristische Fachsprache – das lässt sich auch einfacher formulieren. Wer seine Sätze entschlackt, stresst seine Mitmenschen nicht unnötig. Darüber freut sich sicher auch mancher Richter. ;-)
Dr. Elke Ruchalla meint
Naja, ich spreche „Medicalese“, aber halt mit Kollegen — wenn Ärzte das gegenüber Patienten machen, werden sie zu Recht kritisiert. Ergebnisse solcher “Unklar-Texte“ sind u.a. falsch oder gar nicht eingenommene Medikamente, weil die Patienten die Anweisungen nicht verstanden haben. Und das wiederum kann dann schon schwerwiegende Folgen haben.
Ist vielleicht bei Anwälten ähnlich – auch wenn die Klienten möglicherweise nicht gleich tot umfallen?
„Zielgruppenangepasste Sprache“ ist, glaube ich, der Zauberbegriff ;)
P. Kroeger meint
Nein, das halte ich aus eigener Kenntnis als Jurist in diversen Funktionen von Richter bis Verwaltung für unzutreffend. Ich nehme eher Kollegen, die sich ständig hinter termini verstecken weniger ernst.
Da ich auch Polizeibeamte ausgebildet habe, stimmt das auch dort kaum und auch Ärzte, die patientenverständlich formulieren, haben weniger Probleme mit Ihren Rechnungen, zumal da schon § 10 GOZ / 12 GOÄ klar machen, dass die Rechnung ohne Nachvollziehbarkeit für den Laienpatienten eben auch nicht fällig wird.
Eva Engelken meint
@John Doe: Das ist klar, nur: mit einer schwammigen Konjunktiv-Formulierung à la „dürfte davon auszugehen sein“ oder „dürfte nicht davon auszugehen sein“, lösen Sie das Problem nicht, dass Ihr Mandant oder Leser in jeder Stufe eines Verfahrens eine klare Einschätzung der Lage von Ihnen erwartet.
Das lösen Sie nur, indem Sie ihn präzise über die zur Verfügung stehenden Alternativen informieren: Entweder passiert das, dann hat das folgende Konsequenzen, oder es passiert das, dann hat das folgende Konsequenzen.
Dazu gehört auch, dass Sie Unsicherheiten benennen, im Sinne von: „Welche Alternative eintritt, kann ich mit den mir heute vorliegenden Informationen nicht beurteilen.“
Heike Abidi meint
Wenn man etwas zum Besseren verändern, warum sollte man es dann belassen, wie es ist?
Mehr Klarheit, mehr Transparenz, mehr Verstehbarkeit – das ist eindeutig besser.
Das Argument „war schon immer so“ halte ich nicht für sehr überzeugend.
Predigten auf Latein haben sich schließlich auch nicht gehalten …
Recherchemeisterin meint
Da in dem Beitrag davon die Rede ist „Mandanten“ das Leben zu erleichtern, ist ein „Wir sprechen juristisch“ zwar nicht falsch aber am Thema vorbei – untereinander können und sollen Juristinnen gern alle Fachtermini verwenden, die ihnen zur Verfügung stehen; im Kontakt mit Nicht-Fachleuten ist – wie im Beitrag vorgeführt – eine verständlichere Sprache sinnvoll.