Die preisgekrönte Krimiautorin Nessa Altura beantwortet als Gastautorin des Klartext-Anwalt-Blogs heute die Frage: Was haben Krimischreiber und Rechtsanwälte gemeinsam?
Na, das liegt doch auf der Hand: Interesse am Regelverstoß. Beide ziehen ihren Nutzen daraus – ersterer denkt sich was aus und bringt es unter die Leute und letzterer kümmert sich um die Folgen, wenn das, was womöglich ersterer erfunden hat, von einem ganz Gerissenen oder ganz Naiven in die Tat umgesetzt worden ist.
Natürlich gibt es noch viel, viel mehr Gemeinsamkeiten. Nicht nur im Strafrecht. Beide, Anwalt wie Autor, arbeiten mit Worten. Dass dies eine Kunst ist, wussten schon die Antiken, die die Rhetorik als allervornehmste Disziplin auswiesen, sowie die Mittelalterlichen, die die Rede zu den sieben freien Künsten zählten. In Verruf geriet sie erst, als die Aufklärer sie zur Taktik herabwürdigten, die man bemühe, wenn es gälte, den Verstand zu umgehen.
Mit welchem Ziel auch immer, verehrter Kollege, verehrte Kollegin, Sie die Kunst der Rede anwenden, sie tun es ganz gewiss nur aus den besten Gründen. Am Ende verfolgen Sie das gleiche Ziel wie ich als Krimiautorin: Man soll Ihnen Ihre Geschichte abkaufen. Deshalb möchte ich Ihnen von einem rhetorischen Konstruktionsprinzip vorschwärmen, das uns diesem gemeinsamen Ziel entgegenträgt.
Es geht um den Paukenschlag.
Der ist keine Stilfigur der Rhetorik, sondern ein Begriff aus der Musik, der sich durchgesetzt hat, seit Haydn in seiner Sinfonie Nr. 94 in G-Dur im zweiten Satz, dem schlichten Andante, urplötzlich einen Fortissimo-Schlag aller Instrumente – und nicht nur der Pauke! – gebracht hat. 1791 hat der Meister die Sinfonie geschrieben und ein Jahr später wurde sie in London uraufgeführt. Und ist sofort damit Stadtgespräch geworden – das war angeblich auch sein Ziel, denn damals war ihm in seinem Schüler Pleyel ein echter Konkurrent erwachsen. Und Konkurrenten haben Sie doch gewiss auch, oder? Die Engländer nannten den Hammer im zweiten Satz Surprise – und das trifft es gut, wenngleich es, typisch englisch, ein wenig zu understatig, zu dezent ist.
Starten Sie also stets Ihr Plädoyer mit einer echten Surprise, einem echten Hammer. Das Publikum wird es Ihnen danken. Das ist wie mit der ersten Seite eines Kriminalromans. Sätze von mildem Mondlicht auf dem See machen Ihre Leser gähnen. Sie sollen den Mund aufsperren, richtig!, aber aus anderen Gründen. Klatschen Sie dem Richter einen Stapel ungeöffneter Kontoauszüge auf den Tisch! Wamm! Um zu illustrieren, dass Ihr Mandant von den Forderungen gegen ihn keine Ahnung hatte, weil er, wie hiermit bewiesen, grundsätzlich keine Kontoauszüge liest! Sie werden sehen, das Publikum wird staunen, der Richter sich die Augen reiben und Sie haben das, was Sie für den Rest Ihrer wohlgesetzten Worte brauchen: die ungeteilte Aufmerksamkeit aller. Sie kennen das doch …das tiefer-Rutschen im Stuhl, die schmalen Augen, den glasigen Blick, wenn die Plädoyers beginnen. Nichts da. Appell an alle! Paukenschlag! Wer aufgeschreckt wurde, wird auch weiter zuhören!
Surprise hat eine Schwester, die heißt Suspense. Stellen Sie sich vor, Sie haben Ihren Kriminalroman (oder Ihr Gutachten, Ihr Plädoyer) mit einer echten, aber kleineren Surprise begonnen – nein, nicht mit der Leiche im Gebüsch, als Sie Ihren Hund Gassi führten, das ist Gähn – sondern mit einer hier in meinem Fall unerwarteten deftigen Sexszene. Dann folgt der Hauptteil, der, weil Sie Personal, Motiv und Handlung entfalten müssen, zugegeben etwas langatmig ist. Nun greifen Sie zu den Kniffen der Spannungsliteraturautoren, um Ihr Publikum bei der Stange zu halten. Als da wären – nein, ich will nicht zu viel aus der Schule plaudern, das erfahren Sie ein ander Mal. Lesen Sie bis dahin einen Krimi, Herr Kollege im Wort, Frau Kollegin im Wort! Amüsieren Sie sich. Und lernen Sie daraus!
Gastbeitrag von Nessa Altura*
Nessa Altura ist Schriftstellerin und hat für ihre Krimis und Kurzgeschichten etliche Preise gewonnen, darunter den Friedrich-Glauser-Preis; den Prosapreis Fürstenwalde; eine Nominierung zum Agatha-Christie-Preis; den Krimipreis der Stadt Singen und andere. Ihre Autorenwebsite: www.nessaaltura.de.
P.S. Ich hoffe, ich hoffe, ich kann Nessa wieder einmal einladen, hier zu bloggen. Wenn Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, der Beitrag gefallen, posten Sie ihn weiter. Vielleicht gibt es dann weitere Tipps vom Krimiprofi.
PPS: Ich bin überzeugt, der Tipp mit dem Paukenschlag an passender Stelle lässt sich auch hervorragend für Vorträge, juristische Seminare oder Präsentationen anwenden. Hier ist die Gefahr des Einschlafens nämlich noch größer.
*Dieser Text ist mein Blogwichtelgeschenk der Krimiautorin Nessa Altura. Vielen Dank, Nessa! Weitere Blogwichtelgeschenke können Sie hier lesen: www.Texttreff.de
Mike meint
Danke an Frau Altura für diesen erfrischenden Einblick in die Zusammenhänge zwischen Juristerei und einem guten Kriminalroman. Wobei man natürlich hinzufügen muss, dass Juristen wohl nicht die einzigen sind, die aus dem Paukenschlagprinzip ihren Nutzen ziehen können. Ich denke da genauso an Journalisten, Nachrichtensprecher im Fernsehen oder an Politiker. Am Ende ist doch jeder ein kleiner Romancier, der in der Öffentlichkeit aufgrund seiner Kommunikations- und Begeisterungsfähigkeit mehr oder minder erfolgreich seinen Weg geht. Insofern: es gibt noch viel zu lernen.