Interview mit Nicola Pridik, Juristin und Expertin für Rechtsvisualisierung
Klartextanwalt: Frau Pridik, was versteht man unter Rechtsvisualisierung?
Nicola Pridik (www.recht-verstehen.com): Bei der Visualisierung von Recht geht es darum, rechtliche Inhalte mittels Bildern zu vermitteln. Der Art des Bildes sind dabei keine Grenzen gesetzt: Es können Schaubilder sein, Mindmaps, Fotos, Comics, Illustrationen, Karikaturen, Gemälde oder Filmsequenzen. Häufig dient die visuelle Aufbereitung dazu, Strukturen des Rechts oder juristische Sachverhalte zu veranschaulichen und Probleme in einen Zusammenhang einzuordnen. Aber auch andere Zwecke sind denkbar, z. B. kann ein Foto oder Video helfen, eine Stimmung einzufangen oder das Ausmaß eines Schadens zu realisieren, eine Karikatur einen rechtlichen Missstand auf den Punkt bringen und eine Illustration einen abstrakten Begriff ins Bild setzen.
Klartextanwalt: Warum ist die Visualisierung im Recht so wichtig?
Nicola Pridik: In vielen Bereichen des täglichen Lebens besteht Bedarf an Rechtsinformationen. Ob beruflich oder privat: Die Menschen wollen wissen, welche Rechte sie haben, was sie tun und was sie lieber lassen sollten. Der Gesellschaft bzw. dem Staat wiederum liegt daran, dass sich alle an bestimmte Regeln halten. Leider ist es äußerst schwierig, diesen Interessen gerecht zu werden. Denn Gesetze und sonstige Rechtsvorschriften sind häufig so kompliziert und abstrakt, dass nur Eingeweihte sie verstehen – ein Problem, das Politiker und Juristen vor große Herausforderungen stellt. Das Medium des Bildes hilft, diese Herausforderung zu meistern. Bilder können schriftliche Ausführungen ersetzen – etwa in Form eines Verkehrsschildes – oder sie können schriftliche oder mündliche Ausführungen ergänzen.
Klartextanwalt: Wo und wie wird Recht visualisiert?
Nicola Pridik: Rechtliche Bilder werden überall dort eingesetzt, wo Juristen anderen Menschen rechtliche Themen näherbringen möchten: im Hochschulunterricht, in Fortbildungen, bei Vorträgen, in Fachbüchern, Ratgebern, Skripten, Broschüren oder im Internet. Bei Vorträgen lassen sich Schaubilder in eine PowerPoint-Präsentation einbinden .
- Aber auch Videos sind auf dem Vormarsch, etwa das E-Learning-Format Simpleshow (www.simpleshow.tv), wo Rechtsbegriffe von Geschäftsfähigkeit bis hin zur Erwerbsminderungsrente in kurzen Videos dargestellt und erläutert werden.
- Vorbild sind natürlich Ratgebersendungen im Fernsehen, die ja schon immer rechtliche Themen in Bilder übersetzen müssen. Die Sendung „Ratgeber Recht im WDR“ illustriert Rechtsthemen gerne mal mit skurrilen Typen oder gar mit Puppen.
- Für Jurastudierende hat Prof. Breidenbach an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) die Methode der Knowledge-Tools entwickelt. Sie dient dazu, die Falllösungstechnik zu trainieren. Auf www.juratv.com kann anhand von animierten Schaubildern, die ein Sprecher erläutert, gelernt werden, wie man einen Rechtsanspruch – etwa auf Schadensersatz nach § 823 BGB prüft.
- Andere Anbieter unterstützen die Studierenden mit juristischen Mindmaps beim Lernen. Ein Beispiel sind die Visual Cards vom Verlag Grüning, die den bekannten Prüfungsschemata ähneln und auf der Website teilweise zum Download angeboten werden. http://www.verlag-gruening.de/visual_cards.htm.
- Ein weiterer Einsatzort für Visualisierungen sind Gerichte, in den USA allerdings deutlich häufiger als bei uns. Dort gibt es sogar zahlreiche Dienstleister, die Anwälten sog. Legal Graphics erstellen, um deren Argumentation visuell zu untermauern.
- Schließlich können juristische Bilder Unterhaltungszwecken dienen (z. B. Comics) oder dem Anwaltsmarketing (z. B. juristische Zeichnungen, Karikaturen oder Illustrationen auf Weihnachts- und Glückwunschkarten oder Internetseiten).
- Rechtsvisualisierungsblog: Wen das Thema aus wissenschaftlicher Perspektive interessiert, ist bei Prof. Röhl aus Bochum richtig, der mittlerweile zwar emeritiert ist, aber nach wie vor auf http://recht-anschaulich.lookingintomedia.com zu allem bloggt, was mit Visualisierung in der Juristenausbildung zu tun hat. Eine Linkübersicht zum Thema findet sich hier: http://www.rechtsvisualisierung.net/Links.html.
Frau Pridik, warum ist die Visualisierung von Recht für Anwälte interessant?
Nicola Pridik: Als Anwältin oder Anwalt wollen Sie andere überzeugen. Vor allem wollen Sie Mandanten für sich gewinnen und mit Ihrer Fachkompetenz wahrgenommen werden. Spätestens seit dem Buch „Klartext für Anwälte“ sollten Anwälte wissen, dass es dafür ungeheuer hilfreich ist, sich klar auszudrücken und auf den Punkt zu kommen. Dabei sind sie keinesfalls auf mündliche oder schriftliche Ausführungen beschränkt. Sie können und sollten auch Bilder einsetzen. Heißt für Anwält: Zeigen Sie, was Sie meinen! Oder wie J. G. von Herder es ausdrückte: „Sprechen Sie zum Auge“!
Auf diese Weise erhöhen Anwälte die Wahrscheinlichkeit, dass die Menschen auf sie aufmerksam werden und ihnen zuhören. Zudem verankern sie ihre Botschaft nachhaltig in den Köpfen ihrer Adressaten, bleiben in Erinnerung und sammeln Pluspunkte, weil sie sich in ihrer Kommunikation erfrischend positiv von vielen Ihrer Kollegen abheben. Voraussetzung ist natürlich, dass die Bilder Ihre Botschaft auf den Punkt bringen und optisch ansprechend sind. Wie bei Texten kommt es auch bei Bildern auf die Qualität an.
Frau Pridik, wie kamen Sie dazu, die Visualisierung von Recht als Dienstleistung anzubieten?
Nicola Pridik: Begonnen hat alles an der Humboldt-Universität zu Berlin. Dort habe ich nach meinem 1. Staatsexamen einige Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin an einem Lehrstuhl gearbeitet, der nicht nur zur Rechtsvisualisierung (vor allem im Strafrecht) forschte, sondern sie auch zu einem festen Bestandteil der Lehre machte. Mein Part war es, die dafür nötigen juristischen Grafiken und PowerPoint-Präsentationen für Vorlesungen zu erstellen.
Viele hundert Schaubilder zum Strafrecht und Strafverfahrensrecht sind damals entstanden. Am Anfang setzte ich lediglich Skizzen meines Chefs (Prof. Marxen) in PowerPoint um, später lieferte ich Schaubilder nach Themenvorgabe und entwickelte eine eigene Lehrveranstaltung zur Visualisierung von Recht mit PowerPoint.
Mir machte die Arbeit unglaublich viel Spaß, denn sie vereinte mein Faible für Systematiken, Schemata und klare Strukturen mit einer gestalterischen und zugleich didaktischen Aufgabe. Da die Lehr- und Lernmaterialien des Lehrstuhls bei den Studierenden sehr gut ankamen und anschauliche Vermittlung von Recht auch außerhalb der Uni ein Thema ist (oder sein sollte), entstand die Idee, Rechtsvisualisierung als Dienstleistung anzubieten.
Was für Visualisierungen fragen Ihre Kunden denn konkret nach?
Nicola Pridik: Ein Anwalt, der einen Vortrag halten will, beauftragt mich beispielsweise damit, aus seinen handschriftlichen Skizzen eine PowerPoint-Präsentation zu erstellen oder eine selbst kreierte Präsentation didaktisch und gestalterisch zu optimieren. Ein anderer benötigt nur ein einzelnes Schaubild, das seine mündlichen oder schriftlichen Ausführungen veranschaulicht. Verlage oder Autoren sind zuweilen an Schaubildern für Bücher interessiert. Schließlich wurde auch schon die Erstellung einer illustrierten Broschüre und eines Posters zu einem rechtlichen Thema nachgefragt.
Wie aufwendig ist die Rechtsvisualisierung?
Nicola Pridik: Das hängt von vielen Faktoren ab, z. B. der Art des Auftrags, dem Rechtsgebiet und vor allem davon, welche Vorarbeit der Kunde geleistet hat. Die Vereinfachung von Kompliziertem kostet zuweilen ziemlich viel Zeit. Das weiß jeder, der schon mal versucht hat, eine komplizierte juristische Materie mit einfachen Worten auf den Punkt zu bringen. Ein Anwalt, der überlegt, ob er sich selbst der Visualisierung annimmt, wird in der Regel zu dem Ergebnis kommen, dass ihn nicht nur ein qualitativ besseres Ergebnis erwartet, wenn er einen externen Dienstleister beauftragt, sondern es außerdem wirtschaftlicher für ihn ist.
Beauftragen denn viele Kanzleien Rechtsvisualisierungen?
Nicola Pridik: Dass man mit klarer Kommunikation nicht nur in Wort sondern auch in Bild bei potenziellen Mandanten punkten kann, haben bisher erst verhältnismäßig wenige Anwälte erkannt. Bei der Rechtsvisualisierung kommen bei vielen noch die grundsätzlichen Vorbehalte gegenüber Bildern im Recht hinzu: Jura ist nun mal eine Wissenschaft der Sprache und Bilder können Worte nicht ersetzen.
Wer so argumentiert, hat aber nicht begriffen, um was es bei der Rechtsvisualisierung eigentlich geht: Schaubilder oder Präsentationen stehen nie für sich, sondern werden stets kommentiert, sei es durch Texte oder einen Vortrag. Bilder übernehmen hier eine ganz eigene Funktion. Sie bereichern die Ausführungen, weil sie zum einen Inhalte transportieren, die sich mit Worten nur schwer beschreiben lassen (bevor ich anfange, Strukturen zu beschreiben, zeige ich sie doch lieber). Zum anderen liegt ihre Stärke in der Vereinfachung und Konzentration auf das Wesentliche.
Wenn es so viel nützt, woher kommen dann die Vorbehalte?
Nicola Pridik: Juristen sind häufig skeptisch, weil sie bei einer Regel immer auch ihre zehn Ausnahmen im Kopf haben. Lassen sie die Ausnahmen weg, haben sie Sorge, sich dem Vorwurf der Ungenauigkeit auszusetzen. Gerade in der Kombination von Worten und Bildern lässt sich dieses Problem aber wunderbar beheben. Das Bild konzentriert sich auf die Grundstruktur, während die Ausnahmen mündlich oder schriftlich erläutert werden.
Geben Sie dem Thema Rechtsvisualisierung trotz der erwähnten Vorbehalte unter Juristen eine Chance?
Nicola Pridik: Auf jeden Fall. Angesichts der rasanten medialen Entwicklung und der didaktischen Vorzüge des Bildes kommen sie um das Thema gar nicht mehr herum. Im Übrigen lassen sich durchaus erfreuliche Fortschritte des Umdenkens erkennen: So können sich nicht nur Verlage zunehmend vorstellen, juristische Bücher durch Schaubilder zu bereichern, ich werde sogar angefragt, ob ich Juristen in PowerPoint schulen kann. Schließlich haben viele Anwälte mittlerweile in eine ansprechende Website und ein Corporate Design investiert und gehen aufgrund der positiven Erfahrungen mit ihrer Selbstdarstellung auch den nächsten Schritt und unterziehen ihre gesamte interne und externe Kommunikation einem Relaunch. Ich bin davon überzeugt, dass sich diese Entwicklung fortsetzen wird.
klartextanwalt: Vielen Dank für das Interview!
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