Amtsdeutsch vs. Deutsch
Ich habe vor einigen Tagen mal wieder einer Bekannten beim Übersetzen geholfen. Nicht, dass ich englische Texte ins Deutsche übersetzt hätte oder dergleichen, nein! Ich habe Amtsdeutsch in normales Deutsch übersetzt. Arbeitsamtsdeutsch, um genau zu sein. Die junge Dame, temporär arbeitslos, wollte vom Arbeitsamt gerne ihre Wohnungsmiete bezahlt haben und wunderte sich, warum das Amt immer nur Kleckerbeträge, aber nie die volle Miete überwies.
Arbeitsamt schickt unverständliches Schreiben
Tatsache war: Das Amt war grundsätzlich bereit, die Miete zu bezahlen, aber eben nur grundsätzlich und nicht in voller Höhe; es fand, die Mietwohnung der jungen Dame sei zu groß und stellte sie vor die Wahl: Entweder, sie suche sich eine billigere Wohnung oder sie käme damit klar, dass sie einen Teil der Miete aus eigener Tasche zahlen müsse, das Amt zahle jedenfalls die Kosten einer billigeren Wohnung.
Soweit der Sachverhalt in 66 Wörtern.
Und wo lag das Problem? Mangelnde Verständlichkeit
Das Problem lag darin, dass das Amt nicht 66 Wörter brauchte, um den jungen Dame den Sachverhalt mitzuteilen, sondern rund 660 Wörter, also zehnmal so viel.
Die Folge: Antragstellerin ignoriert Aufforderung vom Amt
Und die Folge? Die junge Antragstellerin kapierte schlichtweg nicht, was das Amt von ihr wollte (nämlich, sich eine billigere Wohnung zu suchen), ihre Sachbearbeiterin kapierte nicht, dass sie das Amt nicht verstand („Wieso? Wir haben Ihnen doch alles schriftlich mitgeteilt“) und die junge Frau, die sich keine neue Wohnung gesucht hatte, wartete vergeblich auf das Geld, in der irrigen Annahme, das Amt schulde ihr noch Geld für die Miete.
Kündigung gerade noch abgewendet
Zum Zeitpunkt, als ich das Schreiben zu Gesicht bekam, war sie um Haaresbreite an der Kündigung vorbeigeschrammt, da ihr Vermieter keine Lust mehr hatte, auf Miete zu warten, die nicht kam. Gottseidank konnten wir das Missverständnis klären und sie konnte sich mit dem Vermieter auf eine Stundung der Miete einigen.
Das hätte besser laufen können!
Vor allem hätte das Amt der Antragstellerin einen verständlichen Brief schicken können.
Oder ihr Anwalt hätte ihr den Brief vom Amt übersetzen können.
Amtskauderwelsch übersetzt
Wie das geht? Übersetzen wir einmal beispielhaft einige der verwendeten Formulierungen:
# Beispiel 1
Amt:
„Sehr geehrte Frau X, bei Leistungen nach dem SGB II sind die Kosten der Unterkunft in angemessenem Umfange zu berücksichtigen. Die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft beurteilt sich nach der Zahl der Familienangehörigen, nach ihrem Alter, Geschlecht und ihrem Gesundheitszustand sowie dem örtlichen Mietniveau und den Möglichkeiten des örtlichen Wohnungsmarktes….“
Klartext-Übersetzung;
„Sehr geehrte Frau X, bei der Berechnung Ihrer Leistungen (Hartz IV) berücksichtigt das Amt auch Ihre Wohnkosten und erstattet Ihnen die Wohnungsmiete bis zu einer bestimmten Höhe. Wie viel Miete Ihnen das Amt erstattet, hängt von Ihren persönlichen Umständen ab: von der Zahl der in der Wohnung lebenden Familienmitglieder, ihrem Alter, ihrem Geschlecht, ihrem Gesundheitszustand sowie von den Mietpreisen vergleichbarer verfügbarer Wohnungen in Ihrer Stadt.
Klartext-Kommentierung
Der Text leidet an den allgemeinen Verständlichkeitsmängeln (Siehe Klartext für Anwälte, Kapitel 3), die mit allgemeinen Verständlichkeitsregeln behoben werden können, vorausgesetzt, Amtsmitarbeiter machen sich die Mühe. Wenn nicht, müssen Sie als Helfer, Anwalt oder Ratgeber ran.
- Konkret und allgemeinverständlich werden. „Hartz IV“ ist mittlerweile ein gängiger Begriff und besser verständlich als „Leistungen nach dem SGB II“.
- Substantive vermeiden: Die „Angemessenheit der Kosten“ wird leichter nachvollziehbar, wenn die Aussage durch Verben transportiert wird: „Wie viel Miete Ihnen das Amt erstattet, hängt von Ihren persönlichen Umständen ab…“
- Passivformulierungen in Aktivformulierungen umwandeln: Statt „Es sind die Kosten… zu berücksichtigen“ lieber schreiben: „Das Amt berücksichtigt…“.
# Beispiel 2
Amt:
„Ihre erforderlichen intensiven Bemühungen zur Absenkung der Unterkunftskosten weisen Sie mir bitte erstmals zum [Datum] nach. Ihre Einlassungen werde ich entsprechend prüfen, und Sie erhalten weitere Nachricht. Sollte ich keine diesbezügliche Nachricht von Ihnen erhalten, gehe ich davon aus, dass keine Gründe vorliegen, die ein Absehen von einer Absenkung der Unterkunftskosten rechtfertigen …“
Klartext-Kommentierung:
Wir übersetzen diesmal nicht den ganzen Text, sondern betrachten vor allem die Negativformulierung „ein Absehen von einer Absenkung der Unterkunftskosten“.
Was meint das Amt damit? Es will sagen, dass es möglich ist, darauf zu verzichten (also davon abzusehen), den Mieterstattungsbetrag zu verringern (= abzusenken).
Ja, geht es denn noch umständlicher? Warum kann das Amt seine Aussage nicht einfach positiv formulieren? Dann würde sie viel verständlicher werden. Sinngemäß müsste sie etwa so heißen:
Unter besonderen Umständen kann das Amt auch eine Miete erstatten, die über der normalerweise erstattungsfähigen Miethöhe liegt. Damit das Amt dies tun kann, muss der Mieter und Antragsteller allerdings erst einmal schildern und begründen, warum er auf seine teure Wohnung nicht verzichten kann …
Und die Moral von der Geschichte?
Wir sparen uns den Rest der 660 Wörter vom Amt und fassen lieber ein paar Erkenntnisse zusammen, warum verständliche Kommunikation zwischen Amt und Bürger bzw. Anwalt und Bürger unerlässlich ist und mit welchen, vergleichsweise einfachen Parametern mehr Verständlichkeit erzeugt werden kann.
- Schreiben Sie verständlich!
Verständlich schreiben, das heißt: Substantive vermeiden, Verben benutzen, Fachbegriffe erklären, Passivformulierungen aktivieren, Verneinungen vermeiden, lieber positiv formulieren.
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